Augustin 329 - 10/2012
Unter der Schirmherrschaft der Stadt
Die hintere Umschlagseite der Ausgabe 328 des Augustin irritierte Freund und Feind. Mittels ganzseitigem Inserat appellierte die Stadt Wien an die Bevölkerung, großzügig gegenüber Bettler_innen zu sein: «Machen Sie mit und öffnen auch Sie Ihr goldenes Wienerherz!» Die Leser_innen erfuhren, dass es nun auch einen offiziellen Bettelbeauftragten der Stadt Wien gäbe.Wir geben es nun gerne zu: Das Inserat, exakt im amtlichen Design, war nicht sehr echt. Es war dem Augustin von der Künstler_innengruppe «Statt Wien» angeboten worden. Da wir den Traum der Gruppe teilen, eines Tages eine Stadtregierung zu haben, die tatsächlich solche Botschaften der Menschlichkeit verbreitet, stellten wir den Platz für diesen sympathischen Fake zur Verfügung.
Das Inserat war Teil einer Kommunikations-Guerilla-Aktion von «Statt Wien» im Rahmen der «Wienwoche». Die Künstler_innen hatten den «Tag der organisierten Bettelei» ausgerufen und angekündigt, die Spendenbetreuer_innen der Stadt Wien würden an bestimmten Plätzen die Geldzuwendungen für die bettelnden Menschen an diesem Tag zu verdoppeln. Außerdem wurde Stefan Olah als Bettelbeauftragter der Stadtregierung vorgestellt. Seine Kompetenz ist unbestritten: Olah, slowakischer Staatsbürger, hatte durch seine Anzeige beim Verfassungsgericht das Bettelverbot in Salzburg zu Fall gebracht.
Dass die Rathausführung keineswegs auf mehrheitliche Ablehnung stoßen würde, wenn sie sich zur Nachahmung der Spendenaktion und zu einer Umkehr in der Bettler-Politik entschlösse, zeigte eine Aktion der Künstler_innengruppe am Siebenbrunnenplatz im 5. Bezirk. Aus einer Presseerklärung der Gruppe: «Bei unserer Aktion war der einhellige Tenor der Passant_innen, dass sie diese innovativ und gut finden. Unter der Schirmherrschaft der Stadt spendeten sie gerne. Auch die Verdoppelung der Spende durch die Stadt wurde unterstützt. Wir haben diesen Weg gewählt, damit unser politischer Vorschlag der Abschaffung des Bettelverbots Gehör findet.»
An eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung (durch die Verwendung des Logos der Stadt Wien) glaubt die Künstler_innengruppe nicht: «Wien ist doch nicht Moskau, oder?» Dem Augustin gegenüber deutete eine Sprecherin der städtischen Öffentlichkeitsarbeit an, die Angelegenheit werde sich «in Wohlgefallen auflösen». Was nach der Logik der satirischen Intervention gegen eine unsoziale Verordnung als «gefährliche Drohung» zu deuten ist. Nur die Aufhebung des Bettelverbots wäre eine Auflösung in Wohlgefallen. Von diesem Schritt ist die rotgrüne Stadtregierung aber weit entfernt; ihre neuen Schikanen gegen die Straßenkünstler_innen (siehe Seite 22) deuten nicht auf eine Abkehr von der Kommerz-Orientierung der Stadtpolitik hin.