Augustin 330 - 10/2012
Vor dem Supermarkt
Es gibt Supermarktkund_innen, die bei ihren Einkäufen nicht mit dem Straßenzeitungsverkauf oder dem Betteln konfrontiert werden möchten, aber auch jene, die mit Gelassenheit einem Bettler oder einer Kolporteurin begegnen können. Darüber hinaus gibt es vereinzelt noch welche, die für die «Entrechteten» Partei ergreifen. Aus letzterer Kategorie ist der Augustin-Redaktion ein Fall bekannt geworden.Er habe aus dem Bauch heraus die Unterschriftenaktion für den Augustin-Verkäufer Razmik Gevondyan gestartet, erzählt Daniel Domig der Augustin-Redaktion, und betont dabei, dass es seine erste Aktion dieser Art gewesen sei. Domig möchte damit auch zu verstehen geben, dass er damit Neuland betreten habe, denn gesellschaftspolitischer Aktivismus sei bis dato nicht sein Ding gewesen.
Zur Vorgeschichte: Der aus Aserbaidschan stammende Jurist und der Wiener Maler kennen sich schon eine Weile, denn Gevondyan verkaufte seit über drei Jahren den Augustin vor einer Hofer-Filiale im 7. Wiener Gemeindebezirk und Domig wohnt in einem benachbarten Haus und ist Kunde des Diskonters. Als Domig erfahren musste, dass Gevondyan nicht mehr vor der Filiale in der Kaiserstraße verkaufen dürfe, fragte er bei Hofer nach, was denn vorgefallen sei. Die erhaltenen Antworten in Richtung «angebliche Bettelei», wie es Domig formuliert, konnten ihn nicht zufriedenstellen, und sein Bauchgefühl sagte ihm, dass dem Kolporteur Unrecht geschehen sei. Kurzerhand initiierte er eine Unterschriftenaktion für den Kolporteur, auch bestärkt durch das Wissen, dass Herr Gevondyan in diesem Grätzel viele Sympathisant_innen habe. In der Tat: bei Redaktionsschluss haben über dreihundert Personen für den Augustin-Verkäufer unterzeichnet.
Die Geschäftsführung bei Hofer konnte auf Anfrage des Augustin keine genauen Angaben über die Gründe des verhängten Verkaufsverbotes machen, da sich die dafür verantwortliche Person auf Urlaub befinde. Man hat aber versprochen, diesen Fall «ganz genau zu prüfen», und wenn es keinen triftigen Grund für das Verkaufsverbot geben sollte, prinzipiell nichts dagegen stünde, dass Herr Gevondyan wieder vor seiner vertrauten Filiale verkaufen könne.
Bevor diese Stellungnahme des Diskonters den Augustin erreichte, zog der Augustin-Kolporteur ein Zwischenresümee: «So tief kann man fallen» und spielte damit auf seine Biografie an. Er sei Jurist gewesen, habe auch gelehrt. In Österreich bliebe ihm nur die Option der Kolportage, und jetzt habe er auch noch seinen gewohnten Platz verlassen müssen. Er zog eine Rechnung einer Filiale eines anderen Supermarktkette hervor und zeigte auf die Telefonnummer mit der Bitte, ich möge anrufen und fragen, ob es ihm dort erlaubt sei, den Augustin zu verkaufen.
Die nächsten Monate werden spannend: Eine andere Supermarktkette ist gerade dieser Tage an uns herangetreten, weil man sich mit uns treffen möchte. Und es ist nicht mehr lange hin, bis die ersten Punschhütten (halb-)öffentliche Plätze okkupieren. Wie beliebt dort Bettler_innen und Straßenzeitungsverkäufer_innen sind, ist uns aus dem vergangenen Jahr leider noch in bester Erinnerung.