Augustin 331 - 10/2012
Rauer Wind weht durch die Blätter
«JournalistInnen schützen Demokratie, Verleger gefährden sie!», stand auf einer Tafel bei der öffentlichen Betriebsversammlung und Protestkundgebung der Journalist_innen am 22. Oktober vor dem Gebäude der Zeitungsherausgeber (VÖZ). Der VÖZ hatte die sich über dreieinhalb Jahre dahinschleppenden Verhandlungen für einen neuen Kollektivvertrag für Tages- und Wocheneitungsjournalist_innen verlassen.Noch vor dem nächsten Verhandlungstermin kündigte er den alten Kollektivvertrag auf. Der VÖZ folgte damit dem Beispiel der Lufthansa, die den AUA-Kollektivvertrag ebenfalls aufkündigte, um der Belegschaft Verschlechterungen aufzuzwingen.
Ein neuer Kollektivvertrag ist dringend notwendig, um den immer größer werdenden Teil der Journalist_innen, die im Online-Bereich tätig sind, und die immer größer werdende Zahl der freien oder prekär beschäftigten Mitarbeiter_innen in den Kollektivvertrag einzubeziehen. Auf die Herausforderung durch neue Technologien und damit den Abstieg der Printmedien hat die Verlegerseite reagiert, indem sie eine Zweiklassengesellschaft der Journalist_innen installierte: Es wird kaum noch jemand nach dem guten Journalistenkollektivvertrag angestellt, ganze Redaktionen werden ausgegliedert, und ein Großteil der Arbeit wird von miserabel bezahlten freien Mitarbeiter_innen erledigt. Auch die einzige Onlineredaktion einer Tageszeitung, die nach dem Journalistenkollektivvertrag angestellt ist jene des Wirtschaftsblattes sollte ausgegliedert werden. Eine langanhaltende permanente Betriebsversammlung hat dies letztlich verhindert. «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» war daher ein berechtigtes Anliegen bei der Kundgebung. Dagegen hätte vermutlich auch die Verlegerseite nichts, würde sie doch liebend gerne die Gehälter der «Fixen» jenen der «Freien» anpassen. Ob es auch umgekehrt geht, werden die laufenden Verhandlungen zeigen. Die Voraussetzungen sind nicht so schlecht, haben sich die Journalist_innen doch unerwartet kampfbereit gezeigt und sich nicht auseinanderdividieren lassen.
Der Gedanke, Journalist_innen schützten die Demokratie, erscheint jenseits der Schulbuchweisheit recht abwegig, wenn man deren Elaborate in den meistgelesenen «Zeitungen» betrachtet. Gerade in den Medien, die den ärmeren Bevölkerungsschichten zugedacht sind, wird kräftig an den Neid der Menschen appelliert. Die sehr zu kurz Gekommenen sollen den ein wenig Bessergestellten ihre bescheidenen «Privilegien» neiden, die wirklich Privilegierten der Gesellschaft sind hingegen auf den Societyseiten zu bewundern. Dieser auflagesteigernde Appell an den Neid wendet sich jetzt gegen die Urheber_innen, die als privilegiert empfundenen Journalist_innen. Dabei ist in Zeiten der verschärften Gangart der Besitzenden für die Nichtbesitzenden nichts wichtiger als Solidarität.
«Zeitung ist das, was zwischen den Inseraten Platz hat», lautet ein alter Journalist_innenspruch. Schaffung eines inseratenfreundlichen Umfeldes so lautet der Arbeitsauftrag der Verleger_innen an die Redaktionen. Beim Augustin allerdings dürfen wir uns immer noch die journalistische Grundfrage stellen: «Trägt das, was ich eben geschrieben habe, dazu bei, die Leserschaft gescheiter oder dümmer zu machen?» Wir hoffen, dass uns meist Ersteres gelingt.