Augustin 334 - 12/2012

Solidarität mit Armen: ein Knigge und ein Fake

Sie haben selbst beobachtet, dass jemand das Geld von Bettelnden einsammelt? Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, sondern informieren Sie sich genau: Diejenigen, die am häufigsten das Geld von Bettler_innen einkassieren, sind Polizist_innen! Damit ihnen die Polizei das Geld nicht abnehmen kann, geben Bettler_innen ihr Geld an Freund_innen oder Verwandte.Bettelnde Menschen organisieren sich untereinander, damit sie leichter überleben können: Sie mieten gemeinsam Quartiere, reisen zusammen aus ihren Herkunftsorten an oder bleiben während des Bettelns beisammen, um sich zu schützen. Das ist eine Form der Selbstorganisation und keine ausbeuterische Mafia!

Tipp: Wenn Sie das noch nicht überzeugt, lesen Sie mehr auf der Seite der BettelLobbyWien, schauen Sie sich den Film «Natasha» von Ulli Gladik über eine bulgarische Bettlerin an oder bitten Sie bettelnde Menschen, Ihnen mehr über Ihre Lebensbedingungen und Erfahrungen in Wien zu erzählen.

Mit einem dieser Tage vorgestellten Knigge zum Umgang mit Bettlerinnen und Bettlern (dem wir obigen Abschnitt entnehmen) hat die BettelLobby Wien auf die Vorgangsweise des Verfassungsgerichtshofes reagiert. Dieser hatte, wie der Augustin berichtete, nach zweieinhalbjähriger «Prüfung» den Antrag einer Bettlerin zurückgewiesen. Die ÖVP Wien bejubelte diese Vorgangsweise postwendend als Bekräftigung der Legitimität des Verbots «gewerbsmäßigen» Bettelns und stellte in Aussicht, das Wiener Sicherheitsgesetz um einen weiteren Schritt zu verschärfen: Bald soll auch das «Betteln mit Straßenzeitungen» wie dem Augustin oder «Global Player» zur kriminellen Handlung erklärt werden.

Anregungen zum Listigsein in der Verteidigung des verfassungsmäßigen Rechts auf die freie Wahl der Lebensweise aufgrund dessen in einem wirklichen Rechtsstaat das Verbieten des Bettelns nicht möglich wäre und in der Solidarität mit den Betroffenen kommen unter anderem aus München. Auch in der bayrischen Hauptstadt ist «organisiertes Betteln» verboten, auch dort nimmt die Polizei den Bettelnden die Spenden der Bevölkerung ab, auch dort hetzen Zeitungen gegen «Ostmafia» und «Bettelmafia».

Eine fingierte Plakat-Kampagne, von anonymen Menschenrechtsaktivist_innen ins Leben gerufen, sorgte in München in den vergangenen Wochen für Aufsehen. Die Plakate zeigen Promis, die die Münchner Bevölkerung auffordern, großzügig zu spenden. «Ich habe immer etwas Kleingeld für Kippen und Bettler dabei Ehrensache!», wird Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt zitiert. «Immer etwas Geld für Bettler dabei haben, das ist mein Financial Fairplay», sagt FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß. Supermodel Heidi Klum erklärt: «Für Leute, die gegen Bettler hetzen, für die habe ich heute leider kein Foto dabei.» Und Münchens Oberbürgermeister Ude wird in den Mund gelegt: «Unsere weltoffene Stadt hat auch Platz für Bettler.»

Das Stadtoberhaupt reagierte ungewohnt ungelassen: Hier werde «kommerzielle Werbung für ausländische Bettlerbanden» gemacht, behauptete der sozialdemokratische Politiker. Er will rechtlich gegen die Verursacher der Fakes vorgehen. Darauf freuen sich die Anonymen. Denn das hieße, dass er seine angebliche Aussage, München sei weltoffen, dementieren müsste

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wo man des Heilands Ankunft feiert,
könnt ihr kein wildes Treiben hören,
und Kekse-Duft statt Arbeitsschweiß nur wittern.
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