Augustin 339 - 03/2013
Wie viel Überwachung wollen wir
Dürnstein ist im Winter eine todsichere Stadt. Alles hat geschlossen, der weltberühmte Ort in der Wachau ist menschenleer wie nach einem Neutronenbombenangriff, die Taschendiebe müssen auf die Zeit der Marillenblüte warten, wenn sich wieder Touristengruppen durch die enge Hauptstraße wälzen.
Der rechte Ort, um über die Kehrseite der Sicherheitspolitik, ohne die scheinbar keine Wahl mehr zu gewinnen ist, zu diskutieren. Ursula Baatz (Ö1) kuratierte Mitte Februar im Dürnsteiner Stift das Symposium zum Thema «Risiko Sicherheit». Als Vertreter des Augustin war ich für das Abschlussplenum eingeteilt worden, wohl weil die Kuratorin wusste, dass die Wegweisung der «stadtbildstörenden» Armutsmenschen, die als ein die Sicherheit erhöhender Schritt gerechtfertigt wird, Thema Nr. 1 der Augustin-Bewusstseinsarbeit ist.
Noch nie wurde ein Konzernchef, der reale Unsicherheit generiert, wenn er tausend Leute auf die Straße setzt, weil er die Produktion in ein Billiglohnland verlagert, nach dem Wiener Landessicherheitsgesetz sanktioniert. Es schützt auch nicht vor dem gefährlichen Autoverkehr. Aber jeden Tag werden Bettler_innen, Landstreicher_innen und andere «unerwünschte» Verarmte nach diesem Sicherheitsgesetz bestraft. Die Konstruktion eines stetigen Unsicherheitsgefühls, sagte ich, sorge für die einseitige pausenlose Verunsicherung der Randmenschen.
Eleganter drückte das die amerikanische Stadtforscherin Saskia Sassen bei ihrem Dürnsteiner Eröffnungsvortrag aus. Die Sicherheit sei längst kein unschuldiger Begriff mehr. Wenn man Sicherheit so verstehe, dass alles unter Kontrolle ist und dass die Wohlhabenderen in den für durchschnittliche Menschen abgeschlossenen gated communities leben, dann zerstöre solch «Sicherheitsdenken» das urbane Zusammenleben. Unter dem Vorwand der Herstellung von Sicherheit finde eine Vertreibung der Armen aus den Citys statt. Eine Meldung in der «Washington Post» schockte sie: In den USA gibt es 10.000 Gebäude, in denen rund eine Million Menschen damit beschäftigt ist, die Bürger_innen zu überwachen.
Was mir gefiel, war die spontane Bereitschaft der Initiator_innen, mit den Erkenntnissen des Symposiums «Politik zu machen». Der Schauspieler Gregor Seeberg, Gastgeber der «Aschermittwochdebatte» und beeindruckt von den Beispielen des Missbrauchs des allgemeinen Sicherheitsbedürfnisses, verfasste einen Offenen Brief an die Sicherheitssprecher aller Parteien. «Ich ersuche Sie dringend zu überdenken», schrieb Seeberg, «ob die Sicherheitspolitik, wie sie in Österreich stattfindet, geeignet ist, die Menschen zu schützen. Ich glaube nicht, dass eine Aufrüstung mit Überwachungskameras, die immer strengere Überwachung im Internet etc., dass ganz generell das Sammeln von Daten von sogenannten freien Bürgern dazu führen, dass diese auch tatsächlich frei bleiben. Im Gegenteil. Und ich glaube auch nicht, dass der Einzelne ein subjektives Gefühl von Sicherheit entwickelt, nur weil er weiß, dass er auf Schritt und Tritt verfolgt wird und seine Bewegungen aufgezeichnet werden.»
Er denke vielmehr, dass das erst Angst generiere und man geneigt sei, sich nach noch mehr Überwachung zu sehnen: «Diese Spirale führt irgendwann ins Verderben, denn wo ist Schluss? Warum fragen Sie nicht nach, wie viel Überwachung wir eigentlich wollen?» In Dürnstein habe sich herausgestellt, dass Sicherheit nicht eine Frage von Aufrüstung der Exekutive, sondern von Stärkung des Individuums, Förderung von Kooperation und kritischem Hinterfragen unseres Konsumverhaltens sei.