Augustin 347 - 06/2013
Dienststelle für Mafia und andere Birnen
Gerald Tatzgern ist oberster Theoretiker und Praktiker der Polizei in den Angelegenheiten Menschenhandel und Betteln. Wenn der Hintergrund nicht so deprimierend für die Menschen wäre, die immer noch von sozialer Gerechtigkeit träumen, könnte man fast schmunzeln über einen Sparsamkeitsanfall des Innenministeriums: Es gibt absolut kein Grundrecht, mit Menschen zu handeln, wohingegen es ein Grundrecht gibt, zu betteln.Eine «Bürokratiereform», die niemand beachtet hat, beschert uns eine Abteilung, die sich für beides kompetent hält, vergleichbar einem Ministerium, das zwecks Kostenersparnis für militärische Verteidigung und biologischen Landbau zuständig wäre.
Logischerweise ist der Unterschied zwischen Almosen erbetteln und Menschen versklaven um einiges größer als der zwischen den sprichwörtlichen Äpfeln und Birnen. Der Herr Tatzgern – er gilt inzwischen als d a s Multikompetenzbündel der Polizei – ist jedenfalls der Initiator oder der Ausführende eines seltsamen Agenda-Settings der Polizeidirektion, das diesen Unterschied amtlich für aufgehoben erklärt. Es gibt keine Dienststelle, die für Probleme der Armut und des Bettelns zuständig wäre, und keine, die den Menschenhandel bekämpft, sondern es gibt eine gemeinsame, agendumübergreifende Organisation. Das erspart uns einiges, doch Tatzgerns Abteilung steht freilich unter Legitimationszwang und muss uns allen erklären, welche Erfolge diese bürokratische Vereinheitlichung der Gegensätze vorweisen kann.
Sind die freien Tage der Menschenhändler gezählt? Bewähren sich die Polizist_innen in den Konflikten, die in der Stadt entstehen, wenn sichtbare Armut auf den Anspruch der «sauberen» Stadt stößt? Doppeltes Nein! Völliges Scheitern der Sicherheitsbehörde. Und das, obwohl Tatzgern der Öffentlichkeit, kürzlich wieder in einem ORF-Interview, bewusst machen will, dass «der Menschenhandel» eher auf dem Feld des «Bettelwesens» zu orten sei als auf jenem der organisierten Rekrutierung weiblicher, junger osteuropäischer Sklavinnen für die heimische Sexindustrie.
Insofern stellt er ja eine Art neuer Identität zwischen den Birnen und den Äpfeln her. Je länger er von einem Schlag gegen die Bettelmafia (diesen Begriff hat nicht Tatzgern erfunden, um auch etwas Gutes über ihn zu schreiben) nur träumen kann, desto abenteuerlicher scheinen seine «Expertisen» zu werden. In besagtem Interview tat er kund: «Die meisten Plätze, wo Bettler sitzen, sind gebucht.» Die Ärmsten müssen also nicht, wie Straßenmusikant_innen, der Stadt Wien für die Benutzung des öffentlichen Raumes zahlen, sondern – der «Bettelmafia». Das wäre in der Tat ein Aspekt der Privatisierung des öffentlichen Raums, der der Straßenzeitung Augustin völlig entgangen ist. Muss uns das peinlich sein? Möglich – aber solange Tatzgern keinen dieser privaten Bettler_innenmelker vor einen österreichischen Richter zieht, sondern ihren angeblichen Opfern (im Wissen, wer ihre Peiniger_innen sind) das Leben in Wien schwer macht, ist die Peinlichkeit eher eine Existenzform der Exekutive und ihres Innenministeriums.