Augustin 348 - 07/2013

Josefstadt ohne Sängerknaben

28 böse junge Menschen zwischen 14 und 18 Jahren sitzen in der Justizanstalt Josefstadt, wo sie mit dem Mittel des Strafvollzugs zu guten Menschen gemacht werden, und sie sitzen auch deswegen, um tausenden anderen Jugendlichen ein Signal zu geben: Seid nicht ebenfalls so böse, sonst sitzt ihr auch.

Was stimmt an diesem Bild nicht? Diese 28 Kinder und Jugendliche sitzen nicht, weil sie außergewöhnlich böse sind, sondern weil sie nicht jener sozialen Schicht angehören, deren Mitglieder ungestraft böse sein können, also in der Population der Justizanstalt praktisch nicht vertreten sind. Was wir nicht beweisen können, weil vom Innenministerium eine Erhebung zum sozialen Status der Insassen nicht zu kriegen ist. Ersetzt wird diese fehlende Transparenz durch unbedachte Meldungen wie jene des stellvertretenden Leiters der Strafvollzugsdirektion, Christian Timm: «Sängerknaben kommen keine ins Gefängnis.» Da angenommen werden kann, dass Timm nicht meint, Sängerknaben könnten von Natur aus keine Gesetze übertreten, muss diese Bemerkung als Ausdruck der gefühlten sozialen Einseitigkeit des Systems der staatlichen Strafe gedeutet werden. Vor hundert Jahren nannte man das «Klassenjustiz», aber das können Christian Timm und seine Chefin, die Justizministerin Beatrix Karl, nicht mehr wissen (der letzte Justizminister, der es wusste, hieß Christian Broda, das ist fast vierzig Jahre her).

Außer den Zahlen und der Ortsangabe stimmt an dem oben gezeichneten Bild überhaupt nichts. Der Jugendstrafvollzug soll die Betroffenen zu besseren Menschen machen? Dass ein Mensch durch ein System der alltäglichen Demütigung zu einer sozial verantwortlichen und von Humanität geprägten Persönlichkeit reife, findet man nicht einmal in den Konzepten autoritärer Pädagogik. Der Fall des 14jährigen Untersuchungshäftlings der Josefstadt, der aufschlecken musste, was die älteren Insassen auf den Boden spien und von seinen Peinigern mit dem Besenstiel vergewaltigt wurde, bestätigt dramatisch, dass das Gefängnis nicht allein als ein Ort der Strafe, sondern der Perversion verstanden werden muss. Erst kommt die Gewalt des Staates (Strafvollzug – egal ob in einer Viererzelle oder in einer Zweierzelle, die die Ministerin als Reaktion in Aussicht stellte) und dann sozusagen die Strafe in der Strafe, die Vergewaltigung, die überall präsent ist, wo es Gefängnisse gibt. Wer glaubt, dass Vergewaltigungen zufällig passieren, ist weltentrückter als Karl, die immerhin zugestand: «Der Strafvollzug ist kein Paradies.» Er ist also eine Art Hölle, in der herumliegende Besenstiele naturgemäß nicht zur Bodenpflege da sind. Wer ist eigentlich der Vergewaltiger, wenn ein Häftling in einem staatlichen Gefängnis vergewaltigt wird?

Demütigungen sind in einem System der Ahndung von Verbrechen kontraproduktiv. Also sind Gefängnisse kontraproduktiv, auch weil sie ohne die Dopplung «Strafe und Strafe in der Strafe» nicht gedacht werden können. Der Fall des 14jährigen in der Josefstadt – niemand glaubt der Justizministerin, dass es ein Einzelfall sei – könnte ein Impuls zu einer gesellschaftlichen Debatte über Alternativen zum Gefängnis sein. Doch das Revolutionärste, das man in den meinungsmachenden Medien dazu lesen kann, ist der Wunsch nach einer Wiedererrichtung des separaten Jugendgerichtshofes.

«Der Glaube an die Notwendigkeit des Gefängnisses ist heute weiter verbreitet als der Glaube an Gott» (© www.kriminologie.uni-hamburg.de); man muss kein Katholik sein, um das als Katastrophe zu empfinden.

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