Augustin 362 - 03/2014
Augustin trifft «Hecho en Buenos Aires»
Buenos Aires, Avenida San Juan. Hier, zwischen den Stadtteilen San Telmo und La Boca, nahe der Küste des Rio de La Plata sollte in der Militärdiktatur ein Autobahnzubringer gebaut werden. Der Staat eignete sich die Häuser an, die dazu abgerissen werden müssten. Seither standen sie leer; offiziell. Wo die Autobahn geplant war, ragen Betonpfeiler in die Luft. Gut so, sie machen kaum Schatten und vor allem keinen Lärm.
Zu seinen Räumlichkeiten ist der «Hecho» gekommen, weil einer der Verkäufer mit seiner Familie im Dachgeschoss lebte und wusste, dass noch eine ganze Etage leer stand. Zugemüllte Räume, kaputte Infrastruktur, erzählt Patricia Merkin, Chefica vom Dienst. Die Etage, in die der «Hecho en Bs. As.» schließlich eingezogen ist, ähnelt heute eher einer dieser multifunktionalen Schicki-Lofts. Nur dass die Gentrifizierung von San Telmo noch nicht an die Ränder des Bezirks vorgedrungen ist. Riesige Fenster, weißgestrichene Wände, kleine Bürokojen und eine Kunstgalerie, die ihresgleichen sucht. Hier produzieren die Künstler_innen unter den Verkäufer_innen ihre Werke – man meint, sich in der Landessammlung moderner Kunst zu befinden.
Seit heuer sind die «Hechos» offiziell hier. «Seit Mauricio Macri (von der konservativen Partei Propuesta Republicana) Bürgermeister geworden ist, waren wir uns unserer Sache nicht mehr so sicher. Wir hätten jederzeit rausfliegen können.»
Wie in der Augustin-Redaktion hängen auch hier Zeitungscovers aus früheren Jahren an der Wand. Seit dem Jahr 2000 gibt es den «Hecho» in der argentinischen Hauptstadt. Buenos Aires ist eine richtige Großstadt («Großstadt» nicht im Sinne von Wien, sondern mit 13 Millionen Einwohner_innen), und die 2000er-Krise ist nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Die Armut in den Straßen ist um etliches sichtbarer und die Sichtbarkeit akzeptierter als in Wien. Wohnungslose Leute, teils Familien, schlafen in Hauseingängen auf Matratzen, die nicht vorübergehend installiert aussehen. Wiener Schlafsackparagraphen, von denen ich zu berichten weiß, rufen höchstens ein mitleidiges Lächeln hervor. Anders als in Wien gestaltet sich auch die Frage des Drogengebrauchs. Heroinkonsum wäre mal eine angenehme Ausnahme, meint Patricia, viel mehr Sorgen bereiteten die gestreckten chemischen Drogen, die junge Leute des Preises wegen nehmen und die nicht nur gesundheitsgefährdend seien, sondern auch soziale Inkompetenz und Aggression hervorriefen. Dennoch sind die Ähnlichkeiten zwischen «Hecho» und Augustin größer als die Unterschiede. Vor den Supermärkten und Kinos verkaufen die insgesamt 120 Verkäufer_innen, darunter Witzereißerinnen und stille Persönlichkeiten, junge Migranten aus den Nachbarländern und alteingesessene Hauptstädterinnen. Die Zeitung versucht, Leuten in ökonomisch und sozial schwierigen Situationen Halt zu geben. Was sie mit dem Halt machen, bleibt ihnen überlassen.
«Hecho» bedeutet «Tatsache», und die Haltung von Patricia Merkin entspricht diesem Namen: Es ist halt so, wie es ist – und wir haben eine möglichst gute Zeit.
Lisa Bolyos bedankt sich bei ihren Kolleg_innen, dass sie ihr Zeit freigeschaufelt haben, um sich in Buenos Aires umzuschauen.