Augustin 369 - 06/2014
Der Redakteur als sitzender Flaneur
Mit dem Begriff «Sommer-Festspiele» hat es in der Augustin-Redaktion eine spezielle Bewandtnis: Selbst im tiefsten Winter können solche Festspiele ausgerufen werden. Nämlich dann, wenn Kollege Robert Sommer wieder einmal das gefühlte halbe Blatt bespielt. Die vorliegende Ausgabe ist zwar noch eine Frühjahrsnummer, nichtsdestotrotz: «Sommer-Festspiele!»
Der Augustin-Mitbegründer streift seit jeher gerne umher und lässt viele seiner Entdeckungen, die der nichtmotorisierten Fortbewegung geschuldet sind, in Texte einfließen. Nun ist er noch einen Schritt weiter gegangen, indem er seinen Aktionskreis aufs Minimum reduzierte: Er machte sich zum sitzenden (!) Flaneur. In dieser statischen Haltung erkundete er den Reumannplatz und nahm seine Wahrnehmungen in die «Vorstadt» des Augustin mit (S. 16/17). Blättert man eine Seite weiter, zeigt er sich aber auch wieder peripatetisch (herumwandelnd) aus dem Schöpfwerk (S. 19). Robert Sommer blickte aber auch über die Vorstadtgrenze hinaus und recherchierte die Haltung der «Grünen» zum Krieg in Ex-Jugoslawien. Den Tipp dazu erhielt er aus dem Bundesvorstand der Grünen, und das nicht einmal anonymisiert in Whistleblower-Manier, sondern vorbildlich offen (S. 8).
Aber nicht nur «Die Grünen» agieren transparent, auch in der Presselandschaft wird oft kein Hehl daraus gemacht, wo der Bartel den Most holt, konkreter, wer in Österreich das Milchmonopol innehat: Die Augustin-Autoren Lutz Holzinger (1944 – 2014) und Clemens Staudinger haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es Zeitungsredaktionen gibt, da wissen die Redakteur_innen genau, was in der Raiffeisenchefetage gewünscht wird. Diese These war kürzlich wieder einmal einfachst zu überprüfen: die IG-Milch, eine Interessensvereinigung österreichischer Milchbäuer_innen außerhalb der Raiffeisenwelt, lud anlässlich des Weltmilchtags zu einem Pressegespräch. Obmann Ewald Grünzweil argumentierte gegen die nicht kostendeckenden Preise, die Bäuer_innen von den marktbeherrschenden Genossenschaften bezahlt werden. Die APA berichtete. Auch der «Kurier» – Raiffeisen Medien-Flaggschiff – hatte das Thema Milch. Am Sonntag, 1. Juni, wurden die Leser_innen mit einem ganzseitigen Schärdinger-Inserat (die Marke gilt als Juwel in der Raiffeisenwelt) am Cover, einer weiteren ganzseitigen Schärdinger-Insertion auf Seite 2 und einer mit redaktionellem Touch versehenen «Markt Inside – eine Produktion der Mediaprint»-Seite, ebenfalls mit Schärdinger-Präsenz, beglückt. Die Positionen der IG-Milch suchten die Leser_innen vergeblich. Wieder ein Argument mehr, mit der Raiffeisenserie fortzufahren (S. 11).
Wie eingangs erwähnt, «Sommer-Festspiele» gehen nicht zwingend mit der Jahreszeit einher. In diesem antizyklischen Sinne porträtierte Barbara Huemer den Wintersportler Martin Würz im vorderen Blattteil (S. 9) – und für den «dichter innenteil» beschäftigte sich unsere Mitarbeiterin mit Feldpostkarten aus dem Ersten Weltkrieg. Auch Doris Kittler lieferte ein Double-Feature: Einerseits porträtierte sie Kerstin Rajnar wegen ihres auffälligen Outfits für die Rubrik «Wiener Wäsche» (S. 18), andererseits stellt Doris Kittler Kerstin Rajnar neuestes (Kunst)Projekt, das Vaginamuseum (S. 27), vor.
Verzeihung, aber an dieser editorialen Stelle dürfen auch die Augustin-Liebhaber_innen nicht unerwähnt bleiben, denn vor genau zwei Jahren haben wir uns auf die Suche nach privaten Unterstützer_innen gemacht: 333 Liebhaber_innen sollten es werden, die dazu bereit wären, dem Gesamtkunstwerk Augustin monatlich 25 Euro zu spenden. Binnen kürzester Zeit bildete sich ein Kreis von Liebhaber_innen, worüber wir heute noch ein wenig erröten. – Ein herzliches Dankeschön!