Augustin 372 - 09/2014
Der letzte Sommer der Anarchie
Einen «anarchistischen Sommer» hätte Gert Hoffmann seine Jugendjahre bei den Interbrigaden mit Sicherheit nicht genannt; die Anarchist_innen waren im politisch nicht ganz koscher, wenn er sie auch in seinen Erinnerungen an den spanischen Bürgerkrieg (s. Buchtipp Seite 29) mit Respekt bedenkt. Aber er würde mir den Titel der poetischen Referenz wegen mit einem Kopfschütteln verzeihen. Hoffe ich zumindest.Im Abstand von zehn Tagen verstarben am 9. und am 19. Juli die beiden letzten österreichischen Spanienkämpfer: Gert Hoffmann und Hans Landauer. Wer sie gekannt hat, dem schrumpelt das Herz ein bisschen zusammen. Wir konnten Erich Hackl dafür gewinnen, einen Nachruf zu schreiben (Seite 8), der nicht nur nachruft, sondern auch nachfragt: Wie gestalten wir die Erinnerung ohne die, die sich erinnern können?
Um eine andere Art von Spanien, ein Spanien der Krise und der abgewälzten Kosten dieser Krise geht es in Manuela Zechners Text (S. 10). «Civismo», ein Begriff, der Bürger_innenrechte suggeriert, bedeutet in Wirklichkeit Bürger_innenregulierung. Von der Polizei exekutiert, sind Biertrinken, Streiten, Skaten und Schlafen auf Barcelonas Straßen nunmehr ein teures Vergnügen geworden. Und um eine andere Art des Sommers und der Anarchie ging es Anfang August in der Wiener Mühlfeldgasse: Da rückten eineinhalbtausend Uniformierte aus, um eine Gruppe von Weltverbesserern aus einem hübsch dekorierten Haus zu holen. Die sollten dort nämlich nicht wohnen! Und solidarisch sein mit ihren Nachbar_innen, die wegen des schnöden Kapitals zum Ausziehen bewegt werden mussten, sollten sie schon gar nicht. Wir lassen die so aufwendig geräumten Pizzarist_innen ab Seite 6 selbst zu Wort kommen. Um zu erfahren, was sie sich unter ihrer Form des Wohnens, Lebens und Pizzabackens eigentlich vorgestellt haben.
Wissen Sie, dass mir im Gespräch mit einem Kollegen von einer anderen Zeitschrift (nein, ich nenn‘ sie nicht) kürzlich aufgefallen ist, dass «Weltverbessern» als Schimpfwort gilt? Ich habe mich gefragt, warum. Um Antwort wird gebeten.
Einen schönen Spätsommer mit einer Prise Anarchie wünscht
Lisa Bolyos