Augustin 380 - 12/2014

Weihnachtliche Umverteilung

Mit dem die Stadt überrollenden Weihnachtseinkaufszauber geht alle Jahre wieder die Lust zur Umverteilung einher. Der alten Frage «Woher nehmen, wenn nicht stehlen?», haben wir eine ganze Ausgabe gewidmet – darin geht’s aber durchaus nicht nur um romantisierbare Beutezüge mit Robin-Hood-Effekt, sondern auch darum, wie man überhaupt (klein-)kriminell wird und wer wofür viel Lebenszeit im Gefängnis absitzen muss. Und auch darum, wozu so ein Gefängnis eigentlich gut sein soll – denn dass es niemanden zu einem besseren Menschen macht, steht quasi fest.Guido T. ist im Kinderheim aufgewachsen; das macht ihn noch nicht zum Kleinkriminellen – im Gegenteil, die Verbrechen wurden an ihm begangen. Aber was er dort in der Not gelernt hat, kann er später gut brauchen: Schlösser öffnen. Wie er sich von der Brutalität seiner Kindheit emanzipiert und nach einem Intermezzo als Zürcher «Einbrecherkönig» zu einem vielsprachigen Wanderarbeiter im Baustellenmanagement wird, erzählt Bernhard Odehnal in seiner Biographie «Die sieben Leben des Guido T.» (S. 6). Ähnlich wie Guido T. ist auch Albertine Sarrazins Jugend von «Einrichtungen» zerstört worden. Über ihren Ausbruch aus dem Gefängnis schrieb sie in den 1960er Jahren in dem bemerkenswerten Roman «Astragalus». Das Buch – nach ihrem sehr frühen Tod fast vergessen – wurde neu aufgelegt und jetzt zusätzlich als Graphic Novel gezeichnet. Ob die mit der Horst-Buchholz-Verfilmung mithalten kann, lesen Sie auf Seite 30.

Ein Buch über das Innenleben des Gefängnis‘ hat auch Christine Hubka geschrieben: In «Die Haftfalle» ärgert sich die Gefängnisseelsorgerin nicht zuletzt über die österreichische Gewerkschaft der Justizwachebeamt_innen, deren Sekretär kein Interesse an einem «humaneren Vollzug» habe (S. 8). Auch die Jugendarbeiterin Eva Grigori muss sich ärgern – nämlich darüber, wie Jugendliche in der Underground-Postille «Heute» als Haufen bösartiger Krimineller dargestellt werden, die besser hinter Gittern aufgehoben wären (S. 9). Die Kuratorinnen der Gefängnis-Filmschiene von «this human world» hingegen finden, dass das Kino selbst hinter Gitter soll – und wollen es im nächsten Jahr dorthin verlegen – erzählen Sie auf Seite 28.

Außerdem haben wir noch ein paar Ausstellungs-, Lese- und Theatertipps zum Strizzi-Schwerpunkt (S. 36 – 37). Bisschen schwierig gestaltete sich übrigens, wenig überraschend, die Suche nach Wiener Strizzetas – umverteilenden, klasseninfragestellenden, geschickt einbrechenden und genauso geschickt ausbrechenden Frauen. Um Hinweise auf solcherlei Vorstadtlegenden wird gebeten. Und um Verzeihung für den nun doch noch leise durchklingenden Kleinkriminellen-Romantizismus.

Romantische Gefühle überkommen uns aber nicht nur, wenn wir an Räuber und Diebinnen denken! Auch und viel mehr noch hat sich unser Herzschlag angesichts der neuen Liebhaber_innen erhöht, die einundzwanzig Mal um unsere Hand angehalten haben. Wir sagen, leicht errötet, danke!, und bitten alle, die in dieser Runde ein bisserl zu spät gekommen sind, mit einem Punsch in der Hand auf der Ersatzbank Platz zu nehmen – die nächste Chance wird kommen.

Na dann – halten Sie Ihre Taschen gut fest! Oder verteilen Sie gleich selber um.

Mit besten Wünschen für das aus- und das anklingende Jahr,

Lisa Bolyos

Steuerzahler_innen haften für Wettschulden

Causa SWAP Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien versus St. Pölten

Der Augustin berichtete bereits über den Rechtsstreit zwischen St. Pölten und der Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien: Ein von der Stadt mit Raiffeisen abgeschlossenes SWAP-Geschäft verlief zu Ungunsten der Kommune, sprich zu Lasten der Steuerzahler_innen. … weiterlesen

Die Mythen des Reichtums

eingSCHENKt

Eine Linie. Am einen Ende stehen die Ärmeren, am anderen die Reichsten. Wenn man nun fragt, auf welcher sozialen Position dieser Linie sich die Reicheren einschätzen würden, dann zeigen sie auf die Mitte. Fragt man die Ärmeren, wo sie sich selbst seh… weiterlesen

Gedicht o. T.

landein

sagte Mama Afrika

reumich

eisaus

gehnichtwegvonmir

zäunich

südherz

enkel aus mein Gambia

treumich

 

mehrwärts

sehn mich nach dir Mama Afrika

scheumich

sandum

will zurück zu deinem kind

streunich

leid… weiterlesen

Das Vanillekipferl und der Engel

(eine etwas andere Weihnachtsgeschichte)

«Pfff, das war knapp!»
hörte der Engel neben sich.

Er blickte nach links
zu dem Berg Vanillekipferl
auf einem – zugegeben – kitschigen Weihnachtsteller
und sah es:
Ein schweißgebadetes Vanillekipferl,
das nochmals murmelte:«Pff, das war knapp!».

«W… weiterlesen

Keiner wollte nach Wien

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (24)

Hüseyin ist seit langem in Wien. Die meisten seiner Generation sind in Deutschland gelandet. Eigentlich wollte keiner nach Wien kommen. Genauso wie viele der ersten Gastarbeiter. Sie wollten alle nach Deutschland. Wer es nicht geschafft hat über die … weiterlesen

Extremfußball

Es gibt fast keine Zuschauer, ein so genanntes «Geisterspiel». Der Schiedsrichter wird in der 1. Minute ausgeschlossen, trotzdem spielen die Fußballer nicht foul. Irgendjemand sägt die Torstangen an, der Ball ist rosa angemalt. Einige Spieler sind sc… weiterlesen

Polyglotter Strizzi mit Dienstwagen

Guido T. – vom Kinderheim zur Seefahrt, vom Einbrecher zum Bauleiter

Nach einer versauten Jugend ist er Seemann geworden, dann Einbrecher und schließlich Baustellenleiter in Nigeria und Saudi Arabien; einst Kleinstadtstrizzi und vielsprachiger Abenteurer, lässt er im Alter zu, dass ihm die tiefen Wunden seiner Kindhei… weiterlesen

Alle kriminell

Brutal, spielsüchtig und dem Taschendiebstahl verfallen – wie die Medien sich Jugendliche vorstellen

Alle Jugendlichen in Wien sind kriminell und gewalttätig. Diesen Eindruck könnte man beim Lesen der täglichen Gratiszeitungen bekommen. 119 «Heute»-Artikel über Teenies und Jugendliche hat eine Jugendarbeiterin gelesen, um zu verstehen, was es mit de… weiterlesen

Die Weihnachtsoffensive der Journalist_innen-Mafia

Verdacht auf organisiertes, profitorientiertes und aggressives Schreiben

Kaum öffnen im Spätsommer die Adventmärkte, fallen die österreichischen Medien über Bettelnde her. Das geschieht in einer Eintracht, die ganz und gar nicht zufällig ist.Die erste Attacke kommt heute übers Radio. In einer sogenannten Morgenshow warnt … weiterlesen

Eine transdanubische Tragödie

Arbeiterstrandbad wurde dem Erdboden gleichgemacht

Verschämt hinter einer weißen Plane, versteckt vor der Öffentlichkeit – ohne öffentliche Ausweisung der handelnden Baufirmen – wurde Ende November, Anfang Dezember ein gebautes Stück Geschichte der Wiener Sozialdemokratie abgewickelt. Bagger zerstört… weiterlesen

Objektivität vs. Quote

Die so genannte «Pflicht zur Objektivität» gehört vor allem zur Jobbeschreibung von zwei Berufsgruppen: Richter_innen und Journalist_innen.
Journalist_innen reflektieren ihre Rolle immer wieder, betonen wie heikel und schwierig es sei, ein ausgewogen… weiterlesen

Neues von Frau Gschistibohavitschek

Die Augustinverkäuferin Ihres Vertrauens könnte eine Landlose sein

Wenn Sie sich das nächste Mal insgeheim oder lauthals darüber alterieren, dass unter den Augustin-Verkäufer_innen auch Migrant_innen aus Süd- und Osteuropa sind, dann bedenken S… weiterlesen

Volkskundliche Suchmaschinen

Mit der Topothek dem Sautanz nachspüren

Immer mehr Gemeinden machen ihre Geschichte mit Topotheken zugänglich. In den Online-Archiven eröffnen sich durch private Fotos neue Perspektiven auf das Dorfleben. Erfunden hat das partizipatorische Werkzeug ein Wiener Neustädter, der seine Kindheit… weiterlesen

«A Häferl»

Lokalmatador

Norbert Karvanek tischt auf: Damit mitten im Wohlstandswien die Armen nicht verhungern.

Foto: Mario Lang

Sonntag, kurz vor Mittag. Auffallend viel Traurigkeit in der kurzen Sackgasse in Mariahilf. Und die Schlange der Wartenden, denen ihre Armut … weiterlesen

Pochender Knochen, gieriges Herz

Albertine Sarrazin, Kind der wegsperrenden Institutionen, wird wiederentdeckt

Paris 1964: Eine 27-Jährige erzählt ihre Flucht aus dem Gefängnis und die Holprigkeit ihrer neuen Freiheit in einem preisgekrönten Roman. «Der Astragal» hat Albertine Sarrazin kurzzeitig berühmt gemacht. Fast 50 Jahre nach ihrem Tod ist er als Neuübe… weiterlesen

Vertreibung der Narren

Tod des Theaters der 6 Direktor_innen im 3. Bezirk?

Nach Hubsi Kramars 3-Raum-Anatomietheater verschwindet nun auch das zweite Theater in der Beatrixgasse im 3. Bezirk. Ganz so sah es bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe aus. Das Theater Olé wird das siebente Jahr seines Bestehens nicht überleben: So … weiterlesen

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