Augustin 381 - 01/2015
Die Umkehr der Verhältnisse. Ein Spiel
Aus augustinischer Sicht ist das abgelaufene Jahr gar nicht schlecht ausgelaufen. Die Zahl der «Liebhaber_innen» (eine spezielle Sorte von Augustin-Unterstützer_innen) hat wieder die obligatorische Höhe 333 erreicht. Das vermeintlich Rätselhafte oder Mythische dieser Zahl entpuppt sich als nüchternes Resultat mathematischer Berechnungen: So viele Liebhaber_innen, und keine oder keinen mehr, brauchen wir, um zu finanzieren, was wir finanzieren wollen. Auch sonst war der 2014er-Abgang freudenspendend.Jozef Katona, unser Kolporteur aus dem Osten der Slowakei, rief musizierende Freunde zusammen, um beim Jahresabschlussfest für unsere Verkäufer_innen müde gewordene Beine in tanzende Derwische zu verwandeln: 4 Stunden Gipsy Music live mit bezweckter Dilettantismus-Garantie! Ein paar Tage vorher gab’s viel Applaus für die Generalprobe der Theatergruppe des Augustin. Mit Turrinis «Sauschlachten» schnuppern die Mimen des 11%K.Theaters erstmals den kaltem Atem der Leistungsgesellschaft, denn es wird ihnen erstmals völlig Neues abverlangt: Texte auswendig lernen! (Michi hat es gut erwischt: Er muss nur grunzen. Seine größte Niederlage wäre, wenn er in der Premiere – 24. Jänner, 7Stern – den Grunz-Einsatz verpasste).
Das neue Jahr erkennt man daran, dass an vielen Klo- und Küchenwänden der neue Augustinkalender hängt und dass das Augustin-Team über die bevorstehende Arbeit stöhnt wie schon lange nicht. Dass es gleich drei F13-Termine gibt (Freitag, 13. Februar, 13. März und 13. November), wäre ja noch souverän zu verkraften. Die Lust, an solchen Tagen den verlorenen Sinn des Fasching wieder auszugraben, zum Zweck der spielerischen Umkehr der Verhältnisse, ist uns nicht verloren gegangen. Zur Erinnerung: Für die erste Aktion der F13-Geschichte, im Februar 2002, verwandelten sich Augustin-Verkäufer_innen in Kontroll-Organe der Wiener Linien. Wer keinen gültigen Fahrschein vorweisen konnte, wurde mit einem Stamperl Schnaps belohnt.
Zu diesen drei aus dem Augustin-Alltag herausragenden Feiertagen gesellen sich heuer aber die Aktivitäten zum Thema «20 Jahre Augustin». Die Leser_innen werden sukzessive erfahren, was in Wien angesagt ist. Im Rahmen der Zeitung wird schon in vorliegender Ausgabe mit dem Jubiläumsreigen gestartet (Seiten 6 und 7). Die Redaktion (nur einer aus dem Quartett war bei der Gründung dabei) kam beim Durchblättern der ersten Jahrgänge aus dem Staunen nicht heraus: Die originellen Clochard-Legenden der 90er Jahre, die meisten sind mit ihren von der Straße gezeichneten Körpern zu früh gestorben, prägen den Inhalt des Blattes derart, dass der Augustin in der Umgangssprache heute noch – trotz Ausweitung des Spektrums der Themen und trotz Ausweitung des Spektrums der Verkäufer_innen – «Obdachlosenzeitung» genannt wird.
Gegen dieses Klischee wehren wir uns freilich nicht besonders, zumal wir immer noch gegen großes Unwissen ankämpfen müssen. Sie wissen vielleicht, dass viele Wiener Obdachlose Hunde haben. Aber wussten Sie, dass man mit Hunden in der Regel keine Chance hat, eines der Notbetten der Wohnungslosenhilfe zu kriegen? Lesen Sie auf Seite 35, was das für einen Betroffenen bedeutet. Er fand eine Lösung: ein Zelt in einem Campinglatz. Blöd nur, dass die Campingplätze ab 8. Dezember für die Winterpause geschlossen werden …