Augustin 394 - 07/2015
Zweimal trauern wir in dieser Ausgabe: Unser Kollege Damian Ik Ikezue, Augustinverkäufer in Alterlaa, ist im letzten Monat knapp dreißigjährig verstorben. Im widmet Ingrid Parlow (S. 9) einen erinnernden Text. Und auch das Covergirl Irma Schwager hat sich – allerdings im verdienten Alter von 95 – auf die Socken gemacht. Ihrem Leben im Widerstand und ihrem widerständigen Geist setzt Bärbel Danneberg (S. 6) ein Textdenkmal. Irmas Rat hätten wir für folgende Frage durchaus noch brauchen können: Was tun?, fragt Kollege Sommer am Ende seines letzten Editorials.
Coverfoto: Gisela Ortner
Was also tun angesichts einer Welt, die sich dreht und dabei keine globalen Verbesserungen verspricht. Konkret: Was tun, wenn Ausgrenzungserfahrung und ökonomische Ungleichheit Hand in Hand gehen, und das eine immer das andere bedingt. Eine Leserbriefschreiberin schlägt vor, im konkret besprochenen Fall (rumänische Armutsmigration Richtung Westen) der rumänischen Regierung auf die Zehen zu steigen: Die sei schließlich Schuld am Dilemma der von ihr Regierten; und wenn es nur allen gut ginge, müssten sie nicht die Entscheidung treffen wegzugehen.
Wohl wahr. Das Recht zu bleiben, wo man sich ein Zuhause eingerichtet hat, wird unterschätzt. Aber auch dem Recht zu gehen, wohin einen die Träume über das eigene Leben schieben und ziehen, wird nicht mit der ihm innewohnenden Größe begegnet. Zu kleinkariert sind die Ängste, die sich speisen lassen, zu enggestrickt die Handlungsspielräume, die die Regierenden (oder jene, die es noch werden wollen) sich selbst zugestehen.
Der Sommer ist da und «Braunwerden», der für Weiße an und für sich unhinterfragte Sinn jedes Sonnenstrahls, hat eine ganz grausliche Bedeutung bekommen: Das Burgenland, dieser hübsche, sonnige Landstreif, ist auch zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht zur Vernunft gekommen. Am ersten Juliwochenende wurde in Eisenstadt demonstriert, aber der Landeshäuptling, der auf den Wahlplakaten die sozialistische Ästhetik aufgehender Sonnen mimte, jetzt aber (nicht überraschend) das Ende der Sozialdemokratie festzurrt, verzieht keine Miene. Ihm stünde Fürstlicheres zu als dieser mickrige Grenzstreifen – so will er wenigstens den nach seinem Geschmack einrichten, bevor er sich bei einem Glaserl Blaufränkisch (ob es den Uhudler dann noch gibt, ist wie berichtet ungewiss) zur Ruhe setzt.
Die mittelburgenländische Nachbarin erzählt mir aus Zeiten, als Flüchtlinge, die dem Krieg in Jugoslawien entkommen waren, im Dorf Unterschlupf fanden: «Da konnte man endlich mal was zurückgeben». Der Weinbauer aus dem Nebendorf zeigt auf das, was gemeinhin als «grüne Grenze» gilt (eine unsichtbare Linie zwischen diesem und jenem Weingarten): «Da kommen s’ rüber. Was soll’n s’ auch anderes machen.» Und die Partie junger Leute aus Kongo und Nigeria, die wir vom Bahnhof ins drei Orte weiter gelegene Asylwerber_innenhaus bringen (der Busfahrplan muss Produkt burgenländischer Sparpolitik sein), schüttelt kollektiv den Kopf, als wir ihnen die Sorgen zu schildern versuchen, die uns die neue Landesregierung bereitet. Local governments!, man muss sie eines nach dem anderen stürzen.
Auch dass die heutige Jugend vom Schimpfnamen der «Katzelmacher» nichts mehr weiß, schreibt Kollege Sommer. Aber die Spuren der ausgegrenzten Kinder tragen die Erwachsenen noch in sich. Peter Turrini verfolgt seine inneren Verletzungen bis in die frühen Tage zurück, als er als Kind eines italienischen Gastarbeiters im Kärntner Dorf aufgewachsen war: Und alle Versuche dazuzugehören, alle selbstgemachten Integrationsvorschriften, und sei es, in Lederhose für Fotos zu posieren, brachten ihm kein Gleichsein ein. Im Gespräch mit dem Theaterensemble 11% K.Theater spricht er von der Lebenserfahrung, die das Schreiben und das Spielen erst möglich machen. Jenny Legenstein hat ihr Bestes getan, einen langen, eindrücklichen Abend auf einer Seite wiederzugeben (S. 33).
Einen erholsamen Sommer ohne weitere Katastrophen wünscht
Lisa Bolyos