Augustin 396 - 09/2015

Wo uns der Geduldsfaden reißt

Einst glaubte man, das Problem der stinkenden, schmutzigen und giftigen Industrieabgase sei zu lösen, indem nur die Schornsteine hoch genug gebaut würden. Ähnlich kurzsichtig und fehlgeleitet sind die Gedankenkonstrukte jener, die überzeugt sind, dass die Lösung der Problematik von Migration und Flucht in möglichst hohe Barrieren liegt. Die 71 Toten in dem Kühlwagen an der A4, die Hunderten, die in den letzten Tagen wieder im Mittelmeer ertrunken sind, sind Opfer der Abschottungspolitik. Wo es keine legalen Wege der Einreise gibt, werden illegale gefunden, je mehr Restriktionen, desto mehr Risiko, desto mehr Verzweiflung, desto mehr Geld ist im Spiel, desto mehr sinkt die Moral jener, die sich durch der Notlage anderer bereichern. Die Forderung kann nur und muss daher lauten: Grenzen auf!Und wenn man selbst jetzt noch lautstark und vehement noch mehr Kontrollen, Überwachung, Stacheldrahtzäune, Mauern, Polizeipräsenz und Heereseinsätze fordert, reißt uns endlich der Geduldsfaden.

Die Geduld, so scheint es, ist als Tugend wieder in Mode gekommen, nachdem uns – Stichwort «Spaßgesellschaft» – jahrzehntelang ein hedonistisches «Satisfaction now!» gepredigt worden war. Kürzlich etwa hob Familienministerin Karmasin die Geduld als entscheidende Eigenschaft fürs Vorankommen im Leben hervor. Das Regierungsmitglied spricht in einem «Standard»-Interview von der Geduld als «ausschlaggebender Kompetenz», welche «in der Oberschicht vermutlich stärker ausgeprägt» sei. «Die Frage, ob ich es als Kind schaffe, meine Wünsche für eine spätere Belohnung zurückzustellen, ist entscheidend für den Bildungsweg und das Lebensglück des Kindes.» Nadine Kegele hat den dringenden Verdacht, dass «Geduld» nur der Deckname für «Privileg» ist. Den Kommentar der Schriftstellerin zum sommerlichen ministeriellen Erguss können Sie auf Seite 10 lesen.

Wir freuen uns in dieser Ausgabe unter dem Titel «Unter Schweinen» die erste Folge der neuen Museums-Serie von Lisa Bolyos zu präsentieren. Sie stellt in jeder zweiten Ausgabe jeweils ein kleines, wenig bekanntes Museum vor, und diesmal besuchte sie das Glücksschweinmuseum in der Florianigasse (S. 20/21). Christine Ehardt besuchte Yael Ronens Theaterstück «Hakoah Wien», das demnächst im Volkstheater auf die Bühne kommt, sie berichtet über das Stück und die Arbeit der österreichisch-israelischen Regisseurin und Autorin ab Seite 24.

Wie geht es Menschen, die sich für Asylsuchende einsetzen? Im Dichter Innenteil setzen sich Elfriede Gans (ab S. 31) und Kerstin Kellermann (S. 36), die sich seit langem in der Flüchtlingsarbeit engagieren, damit auseinander.

Ein paar Wochen Geduld braucht es noch, aber am 16. Oktober ist es endlich so weit und wir belohnen uns und unsere Leser_innen mit dem großen Geburtstagsfest zum 20er des Augustin. Abgehen wird die Purzlparty in der VHS Donaustadt (Info auf S. 30 und der hinteren Umschlagseite) und ob in «Schale» oder Alltagskluft – hereinspaziert und bring your friends and family!

Man kann einen Menschen mit einer feuchten Wohnung genauso töten wie mit einer Axt

eingSCHENKt

Steige ich im ärmsten 15. Wiener Gemeindebezirk in die U-Bahn und im noblen 1. Bezirk am Stephansplatz wieder aus, dann liegen dazwischen vier Minuten Fahrzeit – aber auch vier Jahre an Lebenserwartung der jeweiligen Wohnbevölkerung.Was macht den Unt… weiterlesen

Die Arbeit der Erniedrigung

Den Bildern aus dem Erstaufnahmezentrum von Traiskirchen entströmt eine gewisse Leere. Bilder aus Flüchtlingslagern führen in einen «zentralen Strudel».

Foto: Birgita Fina
Bildtext: Mostafa Elrhandouri «Phantasie eines Schlafenden» (2014), Acryl a… weiterlesen

Kick it like Hakoah!

Mit Yael Ronens Stück wechselt die Hakoah Wien vom grünen Rasen auf die Theaterbühne

Regisseurin Yael Ronen hat mit ihrem Theaterstück «Hakoah Wien» einen Steilpass hingelegt. Der Sensationserfolg aus Graz kommt nun nach Wien, rechtzeitig zum 106. Geburtstag des jüdischen Traditionsvereins. Christine Ehardt hat sich zwischen Bühne un… weiterlesen

Barfüßiger Bandit will fliegen

Eine Graphic Novel huldigt Schani Breitwiesers amerikanischem Bruder

Der «Barefoot Bandit» ist von klein an ein Outlaw. Nicht aus Romantik, sondern weil er nur so zu leben lernt. 2011 wird er in den USA festgenommen und sitzt eine mehrjährige Haftstrafe ab. Alexandra Rügler hat seine Geschichte in Bildern nachempfunde… weiterlesen

aufglegt: KRISTY AND THE KRAKS

«Smile» (Vinyl)
(Totally Wired Records)
www.totallywiredrecords.com
Die Beschreibung des Debüt-Albums der Zwei-Frauen-Formation Kristy And The Kraks könnte in Schlagwörtern wie folgt klingen: Sixties-Girls-Rock, Shangri-Las, Primitive Cool, Rocky Hor… weiterlesen

«Gut für die Kinder»

Lokalmatador Nr. 347

Razmik A. Gevondyan verkauft den Augustin
und Märchen-Bücher, die er selbst verfasst hat.
Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)
Es war einmal. Mit diesen Worten beginnen auch im Armenischen und im Russischen die Märchen. Es war also einmal ein A… weiterlesen

Unter Schweinen

Eine kleine Augustin-Museologie: Teil 1

Was ist das eigentlich – ein Museum? Ein Ausstellungshaus mit angeschlossener Sammlung? Eine Forschungsstätte mit Galerie? Im besten Fall ist ein Museum ein Ort, an dem der Kopf ins Staunen gerät. Lisa Bolyos wird an dieser Stelle einmal monatlich ei… weiterlesen

Szombathely auf den Zahn gefühlt

Ein Blick hinters Günser Gebirge

Für viele Ostösterreicher_innen ist Szombathely ein Synonym für Zahnbehandlungszentrum. Aber dass es sich lohnen würde, nach einem Ordinationsbesuch noch ein, zwei Tage anzuhängen, um auch die Stadt kennenzulernen, dürfte sich noch nicht herumgesproc… weiterlesen

eingSCHENKt: Man kann einen Menschen mit einer feuchten Wohnung genauso töten wie mit einer Axt

Steige ich im ärmsten 15. Wiener Gemeindebezirk in die U-Bahn und im noblen 1. Bezirk am Stephansplatz wieder aus, dann liegen dazwischen vier Minuten Fahrzeit – aber auch vier Jahre an Lebenserwartung der jeweiligen Wohnbevölkerung.Was macht den Unt… weiterlesen

Bittere Arbeitsbedingungen

Was Grenze, Ausbeutung und Obst verbindet

In der Migrationsdebatte kennt man den Arbeitsmarkt betreffend zwei gängige Vorurteile – «Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg» vs. «Die sind zu faul zum Arbeiten» – und weiß nicht, für welches man sich entscheiden soll. Dass beide nicht stimmen, son… weiterlesen

Einen Körper haben dürfen

20 Jahre Augustin – Jahrgang 2010: Bikinifigur? Vegan for fit? Warum Frauen ihre Körper so schwer in Ruhe lassen können

2010 wurde der Augustin 15 Jahre alt. Stuttgart 21 machte die Schwäb_innen zu den Heroes zivilen Ungehorsams, Innenministerin Fekter stolperte beinah über die Abschiebung kleiner Kinder und der Reykjavíker Bürgermeister Jón Gnarr trat seine Amtszeit … weiterlesen

«Alles Schrott, was bisher gemacht wurde!»

Wirtschaftskorrespondentin Ulrike Herrmann über Troika, Wachstum und das Hessische BIP

Wie wenden wir uns vom Kapitalismus ab? Und was hat der mit Wachstum zu tun? Wieso hängt Österreich so am Steuerhinterziehen? Clemens Staudinger befragt die Buchautorin und Wirtschaftskorrespondentin der Berliner Tageszeitung «taz», Ulrike Herrmann, … weiterlesen

Kompetenz gilt der Regierung als «Schubumkehr»

Christian Konrad wird Flüchtlingskoordinator, und der Augustin wird ihn dafür nicht schimpfen

Wo sonst die «Wiener Wirtschaft» Kritik einstecken muss, erweitern wir den Radius diesmal aufs ganze Land – und wollen den Begriff «Wirtschaft» in seiner abfälligsten Form verstanden wissen: a so a Wirtschaft. Denn anders lässt sich das Narrenhaus d… weiterlesen

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