Augustin 398 - 10/2015

Vom nationalen und transnationalen Frieren

Der Herbst ist da, es wird kälter, der Gustl rollt sich auf seiner Parkbank zusammen und man muss sich Sorgen machen um die vielen tausenden Menschen, die kein Dach überm Kopf oder ein Dach überm Kopf, aber keine Heizung im Zimmer, oder eine Heizung im Zimmer, aber kein Geld haben, die Kosten zu bezahlen. In der sanierungsbedürftigen Wiener Wohnung oder im Vorhof der Erstaufnahmestelle Traiskirchen. Frieren ist frieren ist frieren.«Unsere» Armgemachten versus diese «anderen» Armgemachten, diese neuankommenden Armgemachten, nach denen doch niemand gerufen hat. So funktioniert der Dreh, aus jeder Situation rechtes Kapital zu schlagen: Wenn man die Neuankommenden öffentlich hassen möchte, einem aber die neu aufgekommene Hilfs- und Solidaritätsbereitschaft der breiten Masse ein bisserl das Spiel verdirbt (die wollen nämlich nicht hören, dass man die Armen scheiße findet), dann erspinnt man sich einfach einen Armennationalismus. Man liebt und herzt die Obdachlosen (mit österreichischem Pass), die Notstandshilfebezieher_innen (die ehrlich gearbeitet haben), die alleinerziehenden Mütter. Die hat man vor kurzem auch noch gehasst, aber zum Glück sind sie gegen alle Disziplinierungsversuche stur bei ihrem Armsein geblieben, sodass sie jetzt in den Genuss kommen, zumindest die besseren Armen zu sein.

In Ungarn ist man da konsequenter. Ausnahmslos alle Armen werden von Staats wegen gehasst. Die Obdachlosen, die mit Gewalt vom Arbeitsmarkt Ferngehaltenen, die Wendeverlierer_innen, die Neuankommenden. Deswegen, könnte man optimistisch meinen, lässt sich die ungarische Zivilgesellschaft auch nicht in nationale und transnationale Zivilgesellschafter_innen spalten. Bálint Misetics von der Budapester Initiative «Die Stadt gehört allen» spricht (S. 8) über die erblühende Kraft der Solidarität, die Ungarn erwischt hat, warum man mit warmen Decken keine internationale Politik macht und wie es sich mit dem Widerspruch leben lässt, rechts zu wählen und links zu ticken.

Apropos wählen: «Wir halten von Selbstorganisierung mehr als vom Wahlsonntag» – unter diesem Motto liegt in der Mitte des Hefts ein «Wienwahlen Extra» bei. Darin geht’s um die Gründe fürs Rechtswählen, fürs Nichtwählen und fürs Nichtwählendürfen. Und warum die «Angst vor dem blauen Balken» (Benjamin Opratko) uns nicht daran hindern soll, die Gesellschaft selbst zu formen. Mit den alten und den neuen Armgemachten, auf dass die Armut Geschichte wird. Denn dass sich Europa gerade verändert, ist nicht zu übersehen. An den wackelnden Nationalstaatsgrenzen lernen wir eine Kindergeneration kennen, die in fünfundzwanzig Jahren an den Unis lehren, im Europaparlament oder im Jugendzentrum arbeiten und in den Zeitungsredaktionen sitzen wird. Hoffentlich auch beim Augustin.

Beim Augustin ist übrigens auch einiges los! Wir feiern mit der langjährigsten Augustinerin und Augustin-Gründerin Riki Parzer (S. 5) den Aufbruch in die glücklichen Zeiten der Pension. Und weil, wie wir mittlerweile unüberhörbar oft wiederholt haben, der 20. Geburtstag vom Augustin naht, möchten wir am 16. Oktober mit Ihnen ein Tänzchen wagen: zur Musik von Straßenkünstler_innen aus dem Hause Augustin, Otto Lechner und dem Ziehharmonischen Orchester (S. 28), Monomania und dem Stimmgewitter. Zum festlichen Anlass wird außerdem die Augustin-Nullnummer versteigert. Wer also die erste aller Ausgaben fein gerahmt in Händen halten will, soll schon mal anfangen, das Ersparte oder Ererbte in den Hemdsaum zu nähen. Die Gesamteinnahmen kommen dem Geburtstagskind zugute!

Konnte immer sehr ehrlich sein

Erika Parzer – Mitbegründerin des Augustin

Ich war Späteinsteigerin auf der Sozialakademie (Sozak). Zur Ausbildung auf der Sozak gehörte, dass man ein Projekt machen muss. Zufällig erzählte mir Robert Sommer, dass er und Max Wachter beabsichtigen, eine Straßenzeitung zu gründen. Ich habe gesa… weiterlesen

Eine Problem von diesem Ausmaß löst man nicht mit warmen Decken

Über die Krise der Politik in Sachen Refugees – ein Zwischenstand

Die Zeit scheint zu galoppieren. Jeden Tag gilt ein anderes Kommando: Ungarn macht die Grenzen zu, Österreich macht sie auf, Österreich macht sie zu, Kroatien macht sie auf, Bayern macht sie zu, Slowenien macht sie auf, Kroatien macht sie zu – man be… weiterlesen

Nazi-Codes bleiben 15 Jahre

Halbherziges Verbot «lächerlicher» & «anstößiger» Wunschkennzeichen

Das Verkehrsministerium geht mit den unter einschlägigen Verkehrsteilnehmer_innen beliebten Nazi-Symbolen auf KFZ-Kennzeichen bemerkenswert halbherzig ins Gericht. Der wirkliche Skandal ist aber, dass der Sturm der Entrüstung ausbleibt. Von Erich Fél… weiterlesen

Das lange Nachdenken des Michael H.

Anlässlich der 8. Internationalen Woche des Grundeinkommens:

Von 14. bis 20. September fand die 8. «Internationale Woche des Grundeinkommens» statt – mit einer Vielzahl von Veranstaltungen rund um den Erdball – von Beijing bis Wien. Martin Birkner berichtet über einige davon, über die Idee des Bedingungslosen … weiterlesen

Dannebergpredigt: Kolonialistische Kultur

Es war Ende der 1960er Jahre in Berlin. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem meine Mutter mit bangem Blick meinen Bruder in die Fremde entließ. Seine Arbeitsstelle, das Arbeitsamt, hatte ihn auserwählt, nach Belgrad zu gehen, um «Gastarbei… weiterlesen

«Es gibt zu viele Bestimmungen»

20 Jahre Augustin: Jahrgang 2012 – Was wurde aus den Gehsteig-Guerrilleros (GG)?

Acht junge Menschen studierten die Straßenverkehrsordnung hinsichtlich der Benützung von Gehsteigen, aber auch Architektur auf der Uni. Drei von diesen acht gaben Anfang 2012, kurz nach dem die Gruppe GG offiziell aufgelöst wurde, dem Augustin ein Ex… weiterlesen

Ein feministischer Quader im Bregenzerwald

Eine kleine Augustin-Museologie: Folge 2 – Das Frauenmuseum Hittisau

Eine Gemeinde im Bregenzerwald wünscht sich für ihr neues Feuerwehr- und Kulturhaus ein Museum. Eine lokale Kuratorin hat eine gute Idee. Lisa Bolyos hat sich in den Westen aufgemacht, um zu erfahren, wie Hittisau zu seinem Frauenmuseum kam, was schw… weiterlesen

«Gut erklären»

Lokalmatador Nr. 349

Franz Blaha durfte keine Bilderbuch-Karriere
machen. Umso mehr ermutigt seine Biografie.
Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)Am ersten Montag im Monat fährt er zum Literaturmontag ins Café Stadtbahn, das heute Café Vorortelinie heißen müsste. O… weiterlesen

Ein Welt-Dichter in Hinterholz 6

Reise in die niederösterreichische «Höhle des Schaffens» von W. H. Auden

Von 1958 bis zu seinem Tod im Jahr 1973 lebte der anglo-amerikanische Dichter, Essayist und Beinahe-Nobelpreisträger W. H. Auden im niederösterreichischen Kirchstetten. In seinem ehemaligen Haus besteht seit 1995 eine Gedenkstätte, die an sein Leben … weiterlesen

Der Bart ist an!

Musikarbeiter unterwegs … mit Otto Lechner zum Augustin Geburtstagsfest

2014 feierte der Musiker Otto Lechner seinen 50. Geburtstag. Im Oktober spielt er mit den Wiener Ziehharmonikern beim Fest zum 20. Geburtstag dieser Zeitung.

Foto: Mario Lang

Ein Termin mit Otto Lechner, auch ganz ohne Konzert, ist ein Vergnügen… weiterlesen

Bibliotick: Über den Typus des Zwanglers

Die meisten Buchverlage in Österreich neigen zu einer übervorsichtigen Haltung, wenn es um Autor_innen geht, die von den Feuilleton-Starschreibern und Literaturpäpsten durch Ignorieren bestraft werden. Manchmal ist es (für Leser_innen zumindest) ein … weiterlesen

Keine Kunstalmosen, bitte

Die Wiener Kunst- und Kulturszene legt Entwürfe für eine bessere Kulturpolitik vor

Wiener Kunst- und Kulturschaffende wollen mitreden. Um den Wiener Kulturpolitiker_innen den Beruf zu erleichtern, haben sie ein Strategiepapier entworfen, das «eine andere Kulturpolitik» möglich macht. Lisa Weber hat es sich durchgelesen und würde es… weiterlesen

Wasser auf Straches Mühlen?

Ein Salzburger Festspiel-Ensemble überdenkt seine «Provokation»

Was können Künstler_innen tun, um einen Triumph rechtsextremer Politik angesichts der «Flüchtlingswelle» zu verhindern? Und ist die «Hochkultur» eine Plattform für diese Auseinandersetzung – oder vereinnahmt sie alles, was als künstlerischer Protest,… weiterlesen

«notwendiger»

Ich gehen –
geht nix – Frau sagt: «Kinder!»
Ich bleiben –
geht nix – ich sag: «TOT!» –
Krieg – kämpfen
Ich sagen, gehen Österreich –
ich gehen
ich da
Frau kommen und Kinder? –
kleine 2 Jahre alt – kennt mi nix –
Handy gestohlen – keine Foto – nix
Was… weiterlesen

Die Rache der Tourette-Soubrette

Aus der KulturPASSage

Dieser erwartungsvolle Titel des Kabarettprogramms der «Geschwester Lang» war verantwortlich dafür, dass ich wieder einmal das Werkl im Goethehof besuchte. Neben dem, bereits oftmals geschilderten, wunderbaren Ambiente im Werkl, ist dort beste Unterh… weiterlesen

Gedichte von Claudia Magler

Auf der Buche der Weinstock
Symbiose im Hausgarten
Die nur zusammen
Eine Seltenheit sind.
Zeitumriss auf rostigen Nägeln
Die aus den Fingern wachsen
In der Atemstille
Heuchelei auf der Pfadmuskulatur
Im Glänzen mit hüben und drüben
Am Draht… weiterlesen

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