Augustin 400 - 11/2015
Rettet und verteilt Essen und Wohnungen!
Es ist Ende Oktober und zwei große «Brocken» liegen hinter uns. Der erste war die Wienwahl, welche wir an dieser Stelle trotz Zuwachs der Rechten links liegen lassen. Der zweite war unser großes 20-Jahre-Geburtstagsfest: Wir freuen uns wahrlich einen Haxen aus, dass so viele Menschen mit uns – zum Teil bis in die frühen Morgenstunden – gefeiert haben (Eindrücke davon in Wort und Bild auf S. 6 bis 7).Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns bei dem unbekannten Spender herzlich bedanken, der uns zu vorgerückter Stunde nicht nur mit seinem Besuch, sondern auch noch mit einem selbstgebackenen Strudel beehrte. Es hat ausgezeichnet gemundet – ein Beispiel für Foodsharing im Kleinen. In etwas größerem Maßstab praktizieren rund 900 Foodsaver_innen die Rettung und Verteilung von Lebensmitteln in Wien. Jürgen Plank hat sich in der Foodsharing-Szene umgeschaut (S. 17–18).
Wenig vom Teilen halten üblicherweise etwa jene, die Immobilien besitzen, entwickeln oder Ähnliches. Manchmal fallen aber doch Brosamen für die Allgemeinheit ab, zum Beispiel, wenn sich Privatwirtschaft und Stadt auf einen Kuhhandel einigen können. So geschehen in Wien Neubau, wo der Flächenwidmungsplan eines Grundstücks geändert wurde, um eine maximale Bauhöhe von 18 Metern zu ermöglichen, im Gegenzug erhielt die benachbarte Volksschule einen kleinen Park, der außerhalb der Schulzeit der Öffentlichkeit zugänglich ist. An der Stelle befand sich ein, aufgrund völliger Vernachlässigung durch den früheren Besitzer, heruntergekommener Altbau, der zwischenzeitlich auch besetzt worden war. An der Ecke Zieglergasse/Lindengasse kam erstmals zur Anwendung, was inzwischen unter dem Namen «städtebauliche Verträge» in die Wiener Bauordnung Eingang fand, so war es möglich, dass statt einem dreigeschoßigen Altbau sechs Geschoße Luxusneubau entstehen konnten.* Wenn (Wohn-)Raum zumindest teilweise dem Markt entzogen würde, wäre das mit der Rettung von Häusern und der Umverteilung von Wohnraum wohl in ähnlicher Weise möglich wie im obigen Beispiel mit Gemüse und Obst. Ist das naiv gedacht? Ein Äpfel-mit-Birnen-Vergleich? Wenn das Credo des Kapitalismus lautet, dass alles als Ware zu behandeln sei, setze ich ebenso axiomatisch die Behauptung, dass umgekehrt alle Dinge der Warenförmigkeit entzogen werden können.
Ganz der neoliberalistischen Wirtschaftsordnung unterworfen hat sich der 7. Bezirk aber offenbar noch nicht. Die Kaiserstraße jedenfalls zeigt sich noch gentrifizierungsresistent, dort besuchten Mehmet Emir und Helmut Neundlinger den «Philogreißler», eine «Mischung aus Café, Buchhandlung und Diskussionsstube» (S. 22). Gerd Fraunschiel, der den Lehrerberuf zugunsten der philosophischen Greißlerei aufgab, mag vielleicht als Freak erscheinen, während Christine Ehardt in ihrem Beitrag (S. 26) findet, dass die Protagonistinnen des Stücks «Kurze Interviews mit freakigen Frauen» gar nicht so freakig sind, sondern «Platzhalterinnen für den alltäglichen Wahnsinn einer Gesellschaft, in der Sex eine Ware ist, die den neoliberalen Gesetzen von Angebot und Nachfrage folgt.» Diesen Wahnsinn könnte wohl auch Janina Henkes bestätigen, die in «Stop.and.Go» (S. 37) entsprechende Erfahrungen beim Autostoppen schildert.
* «Vom Schandfleck zur ‹Premiumklasse›», «Immobilien Standard», 26. 9. 2015