Augustin 401 - 11/2015

Natürlich erstattete die Mutter Anzeige, denn es gehe ihr ums Prinzip und nicht um die zwei Euro. Die Redaktion des Zentralorgans der immer Ängstlichen, immer Bedrohten, immer zur Unsicherheit Verdammten, immer das Anwachsen der Gefährlichkeit der Stadt «Spürenden» – die Redaktion des Gratisblatts «Österreich» – hat vollstes Verständnis. Denn gemessen an der Punktgröße ihrer Schlagzeile war der Vorfall in der Kremser Fußgängerzone, der eine Kremser Mutter zur «Kämpferin für das Prinzip» machte, das wichtigste Ereignis des Tages. Was war passiert? Die Schlagzeile fasst es zusammen: «Wegen 2 Euro Jausengeld attackiert – Bettlerin raubte im (sic!) Krems eine Zehnjährige aus». Eine Frau hatte einem zehnjährigen Mädchen zwei Euro aus der Hand gerissen.Die vier Zuschreibungen ersparen dem Journalisten, Mutmaßungen über die ethnische Herkunft der Täterin anzustellen, denn als (1.) Bettlerin, (2.) Rosenverkäuferin, (3.) Augustinverkäuferin und (4.) Diebin kann sie keine Unsrige aus unserem Wachauerlandllandl sein, wie die den Code selbstverständlich kapierenden Zeitungsleser_innen sofort wissen. Bettler-Bashing scheint hier auf die Spitze getrieben. Die zitierte Schlagzeile samt dazugehöriger Nachricht steht schon etwas außerhalb der üblichen Schamgrenze der Schreibtisch-Rassisten. Die Mutter, die dem Kind natürlich die Geschichte mit der bösen Bettlerin glaubte, darf gegenüber «Österreich» auch die Behauptung aufstellen, dass so was schon öfter passierte. Das habe sie von anderen gehört (die es von anderen hörten?). Die Niederösterreichischen Nachrichten hatten über den «neuerlichen Skandal» in der Fußgängerzone schon einen Tag vorher berichtet und den angeblichen Tathergang genauso aufgeblasen: «Erschreckender Vorfall in der Kremser Innenstadt». Die Spezialität ihrer Berichterstattung liegt darin, dass der Name der Mutter preisgegeben wird. Ein Umstand, der ihr in Städten, deren Bevölkerung die Sündenbockfunktion der Bettelnden weniger geläufig ist, ziemliche Schwierigkeiten bereitet hätte.

Denn die «Prinzipienreiterin» hätte wohl einige Fragen besorgter Bürger_innen beantworten müssen. Zum Beispiel die Frage, ob ihr bewusst sei, dass mit den Ermittlungen und den sonstigen polizeilichen und juristischen Amtsabläufen, die sie mit ihrer Anzeige wegen zwei Euro ins Rollen gebracht habe, Ausgaben in vielleicht tausendfacher Höhe verursacht habe. Wer bezahlt diese Ausgaben?

Wir setzen voraus, dass Ihr erster Blick auf die Coverseite dieser Ausgabe fiel. Möglich, dass Sie – geschockt von der dramatischen Mitteilung, dass die Augustinkolporteurin aus Wörgl nie mehr wieder für eine Plauderei im Schanigarten zu Verfügung steht – nicht auf den Spruch auf der Pappkartontafel geachtet haben, mit der Annemarie zu einer Aktion gegen die Bettelverbote erschien. «Das Betteln lassen WIR uns nicht verbieten», steht auf der Tafel. Auch wir Redakteur_innen achteten nicht so sehr auf die Tafel, als wir das Foto für die Coverseite auswählten.

Aber im Zusammenhang mit der Kremser «Raubersgschicht» nimmt der Slogan, den Annemarie den Passant_innen entgegenstreckt, das Gewicht einer Botschaft an das soziale Gewissen der in der U-Bahn-Passage Anwesenden an. Annemarie war keine Bettlerin (siehe dazu den Bericht auf Seite 10), aber die Bettler_innen sind ein Teil des «Wir». Der Slogan ist ein Statement gegen das Auseinanderdividieren des sozialen Randes. Und er ist mehr: er enthält auch die Utopie, dass alle Benützer_nnen dieser Stadt, ob mit feinem Job gesegnet oder schon ewig ohne Job, gemeinsam dieses «Wir» formen, das die herrschenden Mächte herausfordert.

Von Mäusen und Menschen

Aus der KulturPassage

Das SCALA–Theater zum Fürchten zeigt zur Zeit «Von Mäusen und Menschen» des berühmten Literaten und Nobelpreisträgers John Steinbeck. Die Bühnenfassung und Inszenierung stammt wie so oft von Bruno Max.
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