Augustin 402 - 11/2015
Willkommen geht durch den Magen
Als ich kürzlich in Spielfeld war, um für ein paar Tage in der Küche auszuhelfen – Freiwillige bereiten warmes Essen zu, um die fehlende Willkommenskultur von Land und Bund zumindest einen Moment lang zu ersetzen – bin ich mit einem Bundesheeroffizier ins Gespräch gekommen. Das Bundesheer hatte nämlich keine Gasflaschen mehr, sodass die autonome Küche sich ein Herz fasste und eine von den ihren spendete (die wiederum aus Spendengeldern gekauft werden; denn das Innenministerium verweigert jegliche Unterstützung).«Sind Ihre Institutionen wirklich so inkompetent, dass sie mit den paar tausend Ankommenden pro Woche nicht umgehen können?», fragte ich den Mann, der mir an Dienstjahren weit überlegen war. Denn offiziell stehen die Neuankommenden in Spielfeld deswegen stundenlang herum, weil die Busfahrer_innen, die sie in Unterkünfte bringen sollen, keine Information darüber bekommen, wo diese Unterkünfte sind. Sprich, es wird so getan, als gebe es zu wenige Schlafplätze. «Nein», sagte der Offizier sehr freundlich (er wollte ja die Gasflasche bekommen), «das ist nicht Inkompetenz, das ist politischer Wille. Sehen Sie, als in Jugoslawien der Krieg ausbrach, haben wir über Nacht zehntausende Feldbetten bereitgestellt. Das ist jetzt eben nicht erwünscht.» Machte einen betrübten Gesichtsausdruck und zog mit der Gasflasche von dannen.
Es ist eben nicht erwünscht, dass es allen einigermaßen gut geht. Man kann mit lauter glücklichen Leuten kein politisches Kleingeld machen – und reich wird man mit denen auch nicht. Zum Glück gibt es die, die sich von Empathie und Hausverstand antreiben lassen. Ohne sie wär’s hierzulande nur noch zum Genieren.
Um ein Dach überm Kopf geht es in dieser Ausgabe mehrfach – Jenny Legenstein hat das neunerhaus besucht, Christian Bunke hat Frau R. gefragt, wie es ihr ein knappes Jahr nach ihrer Zwangsräumung geht und Frank Seibert war in der Münchner Innenstadt, um das «Haus Annelie» nach seiner Schließung zu besuchen. Zum Film über dieses Haus laden wir Sie am 5. Dezember ein – mit anschließender Diskussion über das Recht auf ein Dach überm Kopf. Und auch um Unterstützungsarbeit dreht sich diese Ausgabe – Vina Yun hat für die Coverstory mit zwei Frauen gesprochen, deren Sprachkenntnisse zu einem relevanten Teil der Willkommenskultur wurden: Sie dolmetschen für Refugees.
Apropos Unterstützung. Wir sind ja jetzt zwanzig, und am Ende dieses wilden Geburtstagsjahres haben wir noch einen etwas verwegenen Wunsch: Wir hätten gern ein paar neue Liebhaber_innen. Dreizehn sind es an der Zahl, die zwar nicht ihre Liebes-, aber sehr wohl ihre Bankeinzugserklärung aufgekündigt haben. Weil sie ihr Geld jetzt mal ein Weilchen selber brauchen, weil sie ein anderes gutes Projekt unterstützen möchten oder weil sie Ihnen – ja, Ihnen! – einen Platz freiräumen wollten. Wir bedanken uns bei unseren Verflossenen und warten freudig auf neue Liebesbriefe, die alle Ängste vor einem kalten Winter nur so dahinschmelzen lassen.
Mit Herzerln in den Augen grüßt
Lisa Bolyos