Augustin 407 - 02/2016
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Vor Gericht ist Schluss mit lustig
«Am Schluss gewinnt immer der Kasperl!» Sowieso, wo doch gerade der Geburt des Dadaismus vor genau einhundert Jahren in Zürich gedacht wurde. Der eingangs zitierte Satz stammt aber nicht von Raoul Hausmann oder Emmy Hennings, sondern von einem in Wien lebenden Dadaisten namens Richard Lugner.
Ich durfte diese Lugner’sche Tautologie in einem Radio-Journal aufschnappen, welche mich noch den ganzen Abend beschäftigen sollte. Was könnte dieser herrlich erfrischende und witzige Spruch bloß bedeuten? Mein Suchen in Online-Wörterbüchern für Redensarten war nicht erfolgreich, doch glücklicherweise fand ich noch das Positionspapier zur «Kasperloffensive», also zu seiner Kandidatur zur Bundespräsident_innenwahl 2016. Dieses Papier hat natürlich keinerlei politische Bedeutung, dafür handelt es sich um ein dadaistisches Brevier der Sonderklasse, das, wäre es anno dazumal im Zürcher Cabaret Voltaire vorgetragen worden, sicherlich zu den Höhenpunkten gezählt hätte.
Die Figur Richard Lugner ist eine harmlose Inszenierung, die wir aushalten oder leicht wegblenden können, schwieriger wird die Angelegenheit beim Beispiel «Kölner Karneval» und die Rolle der Medien. Natalie Gosrup beschäftigte sich mit der neuen Sündenbocktheorie vom «notgeilen jungen Nordafrikaner» und warf einen Blick auf Statistiken zur «Asylant_innenkriminalität».
Eine Häufung von Anzeigen bedeutet noch lange nicht, dass die Anzahl an «Verbrechen» gestiegen ist. Entschieden wird in einem Gerichtsverfahren, ob ein Verbrechen vorliegt oder nicht, das ist gut so, weil demokratisch, lautet die allgemeine Auffassung, doch Werner Hofmann gräbt eine Schicht tiefer und stellt die These auf, «dass vor Gericht schon längst keine Wahrheiten mehr gefunden, sondern je nach Interessenslage von Suchenden konstruiert werden» (S. 6).
Ein unzeitgemäßes «Konstrukt» ist das auch das «Graue Haus» in der Josefstadt, mit dem sich Robert Sommer in zweifacher Hinsicht beschäftigte: Zum einen nahm er es zum Anlass einer Gefängnis-Kritik, zum anderen spazierte er im (w)örtlichen Sinne um dieses Gebäude herum, um eine Grätzl-Beschreibung zu liefern (S. 16).
Mit dieser Ausgabe wagten wir uns aber auch auf andere Kontinente. In der indisch-pakistanischen Großregion Punjab setzen Dürren immer mehr der Landwirtschaft zu. Wie Bauern und Bäuerinnen darauf reagieren (müssen), können Sie in der Blattmitte in einem vom Nachrichtendienst des International Network of Streetpapers zur Verfügung gestellten Artikel (S. 18) nachlesen. Vorher (S. 8) berichtet Hans Bogenreiter über einen Vorarlberger, der sich in Tansania mit biologischer und nachhaltiger Landwirtschaft beschäftigt.
Umgekehrt beschäftigen sich auch Afrikaner_innen mit Österreicher_innen. Ein grandioses Indiz dafür ist der Film «Das Fest des Huhnes» (1992), dessen Regisseur Walter Wippersberg Ende Jänner verstorben ist. Wir bringen nicht nur einen Nachruf auf den Autor und Filmemacher (S. 24), sondern auch einen Text von ihm zum Thema Urheberrecht, den Walter Wippersberg am Beispiel seiner oben genannten Film-Dokumentation abhandelte.
Einen anderen Autor und Fotografen bekommen Sie auf der berühmt-berüchtigten «Seite 5» vielleicht zum ersten Mal zu Gesicht: Mehmet Emir. Der ehemalige Sozialarbeiter vom Augustin, aber nach wie vor aktive Kolumnist, wird von der Stadtpolitik dekoriert, was ihm so viel Selbstvertrauen einimpft, dass er uns in seinem aktuellen Beitrag (S. 35) vor die Wahl stellt: «Entweder Hüseyin (sein Alter Ego, Anm.) oder Lugner» …