Augustin 412 - 05/2016
Das OAA-Prinzip*
Das Wort Angst leitet sich von einem Ausdruck, der «beengend» bedeutet, ab. Angst geht nicht nur mit einem Gefühl der Beengung einher, sondern sie führt auch zu Engstirnigkeit, zumindest dann, wenn scheinbar als einzige Handlungsalternativen in einer als bedrohlich empfundenen Lage, Flucht oder Kampf zur Wahl stehen.Vernunftbegabte Wesen, die wir sind, haben wir aber in den allermeisten Fällen außerdem die Möglichkeit, das, was uns/und oder anderen Angst macht, rational zu betrachten: mögliche Ursachen, Zusammenhänge, Auswirkungen von Geschehnissen zu ergründen, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen. Bei dieser Gelegenheit spiele ich wieder ein bisschen Sprachpolizei. Seit einigen Monaten geben Politiker_innen sämtlicher Coleurs den Satz «Wir müssen die berechtigten Ängste der Bevölkerung ernst nehmen» von sich. Wann ist Angst «berechtigt»? Ängste sind manchmal begründet, oft irrational. So manche_r hat vielleicht zu Recht Angst, aber die Rede von den «berechtigten Ängsten» suggeriert ein Recht auf Angst, das noch dazu exklusiv der «Bevölkerung» zusteht.
Beängstigend ist jedoch tatsächlich, wenn christliche Fundamentalist_innen sich ums Seelenheil anderer sorgen. In Polen will die mit der katholischen Kirche verbündete Regierungspartei PiS ein totales Abtreibungsverbot durchsetzen – darüber und über den Widerstand dagegen berichtet Marita Gasteiger auf S. 10.
Entrechtung geschieht andauernd und zusehends, Beispiele sind die neueste Novelle des Asylgesetzes oder die Verweigerung von Hilfe für in Seenot geratene Migrant_innen. In der Ausstellung «As Rights Go By» gehen Künstler_innen, Wissenschaftler_innen, Aktivist_innen der Frage nach, «wie uns die Verweigerung grundlegender Rechte passieren konnte». Vina Yun (Text) und Carolina Frank (Fotos) waren in der Ausstellung im Museumsquartier (S. 24).
«Wenn der Augustin von Angst redet, meint er die Angst, vor Mitmenschen peinlich zu wirken, genauso wie die Angst vor polizeilichen Kontrollen sowie die Existenzangst, die Angst, aufgrund einer ‹Andersartigkeit› nicht an die Mittel zu kommen, die das Überleben sichern», schreibt Robert Sommer in seinem Beitrag, in dem er den besonderen sozialarbeiterischen Zugang des Augustin erläutert (S. 8). Der Zwang zur Ökonomisierung umfasst mittlerweile auch weite Bereiche der Sozialarbeit, wodurch diese auch aufgrund der Vorgaben der Förderungsstellen oft zur Ausübung von «Handlangerdiensten» des Marktes degradiert wird. Ziel einer solchermaßen instrumentalisierten Sozialarbeit ist es, ihre «Klient_innen» (die seit einiger Zeit geradezu zynisch meist als «Kund_innen» bezeichnet werden) in möglichst kurzer Zeit für den Arbeitsmarkt geeignet zu machen. Demgegenüber sehen wir Augustin-Mitarbeiter_innen es als Aufgabe, Sozial- und Medienarbeit zu machen, die in vielfältiger Form dazu beiträgt, eine gesellschaftliche Situation zu erzeugen, in der Menschen «ohne Angst anders»* sein können.