Augustin 417 - 07/2016
Poesie und Disziplin
Der Augustin-Journalismus ist ziemlich verrückt. Man blättere vorwärts zum Sportteil. Der rumänischlastige, unterklassige Herrenfußballverein FC Calaromania erregte deshalb die Aufmerksamkeit unseres Mitarbeiters Hannes Gaisberger (Seite 22), weil die neuralgischen Positionen – Vereinsobmann und Trainer – von Frauen besetzt sind. Welche Gelegenheit, angewandten Feminismus auf Feldern, die traditionell von Männern dominiert werden, zu würdigen! Hätte es Kollege Gaisberger nicht bei dieser Frohbotschaft belassen können?
Doch der hält nichts von Pädagogik, nicht einmal von antipatriarchalischer Pädagogik, sondern er ist schlicht neugierig, wie man so lebt als Ehegatte der Vereinsobfrau und in der Funktion als Stellvertreter seiner Frau beim FC Calaromania. Und was kriegen wir da zu lesen? Der Vizeobmann ist Veranstalter österreichischer Misswahlen. Das wollten wir vielleicht gar nicht wissen. Schade, die Sportseite wär´ so erzieherisch gewesen: ein Schuss Feminismus, ein Schuss Multikulti. Nur «Verrückte» wie unsere Sportberichterstatter wissen nicht, wann sie Schluss machen sollten in ihrem Informationsdrang.
Übet die Schrägheit. Spinnt wie die Finn_innen, die in einer Verordnung zur Durchführung der Weltmeisterschaften im Gummistiefelwerfen festgehalten haben, dass ausschließlich Stiefel der Schuhgröße 43 zu verwenden sind! Lacht wie die Ironiker_innen des walisischen Dorfes Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrvdrobwlllantysiliogogogoch (angeblich ist kein Ortsname auf der Welt länger als dieser), die den Asylbehörden den Vorschlag machten, Flüchtlinge nur willkommen zu heißen, wenn sie den Ortsnamen korrekt aussprechen! Seid crazy auch in traurigen Zeiten! Es ist schwer, aber manchmal versuchen wir in der Zeitung, diesen Imperativen Genüge zu tun. Selbst meine Wenigkeit, dem seriösen Journalismus verpflichtet, tendiert gelegentlich zum Schrägen; in dieser Ausgabe etwa würdigt er den im positiven Sinn Verrücktesten der österreichischen Nachkriegsavantgarde, H. C. Artmann, der stolz war, nicht wie ein berechenbarer Staatsbürger zu sein. «a gesagt, b gemacht, c gedacht, d geworden». So charakterisierte er sich, und er erfand die Kriterien des «poetischen Actes», also relativ absurder Handlungen, die vollkommen wertlos und frei von aller Ambition nach Anerkennung oder Kritik zu sein hätten (Seite 28).
Apropos poetisch. Uns werden Fakten herangetragen, vor denen die ironische Pose in sich zusammenfällt. Mit der ersten Surf-Anlage im öffentlichen Raum, am Schwarzenbergplatz (Seite 13), macht eine private Vertreibergesellschaft Profite. Ein weiterer «Fortschritt» im Bemühen, die letzten Commons in Wien zur Ware zu machen – das schreit nach politischer und nicht nach poetischer Intervention. Auch die Situation des jungen jenischen Messerschleifers Angelo Schmid, der am eigenen Leib erfährt, dass österreichische Polizist_innen immer noch voller Ressentiments gegen die «Fahrenden» sind (Seite 14), verlockt uns nicht zum Augenzwinkern, sondern sie schreit nach Skandalisierung.
Um Revolutionär zu sein, hat Walter Benjamin gemeint, müsse man die Poesie mit der Disziplin stets verbinden. Abgewandelt, könnte es ein brauchbares Motto für den Augustin-Journalismus werden. Die Ohnmächtigen und Entrechteten konnten mit der Zuverlässigkeit des Augustin-Teams rechnen; wir nähern uns der 500. Ausgabe – und noch nie wurde ein Drucktermin nicht eingehalten: Disziplin! Das schaffen wir nur, weil wir zwischendurch auch unserem Wahnsinn freien Lauf lassen: Poesie!