Augustin 420 - 09/2016
Ohne Senf
Warum, werden wir hin und wieder gefragt, bringt ihr im Augustin nicht mehr Beiträge zum aktuellen politischen Geschehen? Nun, dass es für eine 14-tägig erscheinende Zeitung ein von vornherein verlorenes Rennen ist, sich am Tempo des Nachrichtentickers zu orientieren, ist eine Binsenweisheit – siehe auch: Nichts ist älter als die Neuigkeiten von gestern.Ebenso ist es langweilig, jeden (partei-)politischen Schein-, Spiegel- und Hahnenkampf zu kommentieren, also ersparen wir es uns, überall unseren Senf dazuzugeben. Das Thema der letzten Tage bis zum Redaktionsschluss waren ja die defekten Briefwahlkuverts, die von selber aufgehen. Bis Sie, liebe Leserin, lieber Leser, diese Zeitung in Händen halten, wird möglicherweise schon geklärt sein, was es damit auf sich hat und ob das fehlerhafte Papierprodukt zur Verschiebung der Wahlwiederholung geführt hat. Der Hersteller der selbstöffnenden Kuverts sollte sich diese jedenfalls patentieren lassen, sicher gibt es dafür einen Markt, auf dem die Vormachtstellung der Brieföffnerindustrie … Ich unterlasse es lieber, meine merkantilen Spekulationen weiter auszuführen und kehre zum Zeitungsgeschäft zurück, ganz konkret zu diesem Augustin Nr. 420.
Unabhängig davon, ob die Bundespräsidentenwahl am 2. Oktober oder später stattfindet, wird Walter Schaidingers Kommentar zur Wahlaufhebung auf Seite 10 nichts an Aktualität verlieren. Unter anderem stellt er fest, dass die scheinbar diametral entgegengesetzten Gegner, Rechtsradikale und extreme Islamist_innen, einander ähnlicher sind, als ihnen lieb sein kann. Alles Negative am anderen festzumachen ist natürlich eine einfache Strategie, die es ihren jeweiligen Anhänger_innen erspart, sich mit Ursachen und Problemlösungen auseinanderzusetzen, und beileibe auch keine rein österreichische Spezialität. «In Österreich, aber auch in Deutschland, Frankreich und anderen westeuropäischen Staaten geben Parteien und politische Bewegungen vor, sich für die ‹einfachen Leute› einzusetzen, ihre Ängste zu verstehen, und die Nation gegen ‹die anderen› zu verteidigen», sagt die Politologin Karin Liebhart im Gespräch mit Marita Gasteiger, das sich mit der Frage nach Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und autoritären Tendenzen in Osteuropa befasst (S. 8). Dass in einer Notlage das Gegenteil von Aus- und Abgrenzung zielführend ist, beweist die Bevölkerung und Politik auf der Insel Lampedusa. «Wenn die Politik versagt, leben beide Seiten schlecht», nämlich Geflüchtete und Einheimische, meint Lampedusas Bürgermeisterin Giuseppina Nicolini im Interview mit Theresa Bender-Säbelkampf (S. 6). Und ein Blick auf die Geschichte sollte ohnehin klarmachen, wohin autoritäre, rassistische Politik führt. Ein Lektüretipp: Paco Rocas Comic «Die Heimatlosen» nach Erinnerungen des Franco-Gegners und spanischen Bürgerkriegskämpfers Miguel Ruiz (S. 24).