Augustin 424 - 11/2016
Ungarn, Kroatien, Diyarbakır, Augsburg und die ganze Welt
«Eine wahre Demokratie ist nicht zu erreichen, solange die Presse sich in den Händen von Leuten befindet, die in erster Linie an Geld-Erwerb denken und nur in letzter Linie mit Hilfe der Presse der Menschheit dienen wollen; für diese Leute ist die Presse und die Absicht, Aufklärung und Wissenschaft zu verbreiten, lediglich ein Geschäft wie jedes andere bürgerliche Geschäft auch», schreibt Ret Marut in seiner Zeitschrift «Der Ziegelbrenner», die er von 1917 bis 1921 zur Gänze selbst produzierte, finanzierte und herausgab.Der Untertitel des revolutionär-anarchistischen Mediums lautete übrigens «Kritik an Zuständen und widerwärtigen Zeitgenossen». Die vor gut einem Jahrhundert veröffentlichten Aussagen Maruts könnten auch in ein nicht vorhandenes Augustin-Manifest Eingang finden. Die Kritik am kapitalistischen Pressewesen des Schauspielers und Aktivisten der Münchener Räterepublik, der im späteren Leben in Mexiko wiederauftauchte und unter dem Namen B. Traven als Autor gesellschaftskritischer Abenteuerromane weltberühmt wurde, scheint jedoch erschreckend aktuell angesichts der Einschränkungen und Einstellungen regierungskritischer Medien in demokratischen Ländern wie der Türkei oder Ungarn. In unserem östlichen Nachbarland wurde vor Kurzem der größten Tageszeitung des Landes «Népszabadság» über Nacht der Garaus gemacht. Im Interview mit Alexander Behr spricht der «Népszabadság»-Redakteur Márton Gergely über die Hintergründe der willkürlichen Schließung der Redaktion durch deren Eigentümer (S. 6–7). Eine ebenso zentrale wie unrühmliche Rolle spielte dabei der österreichische Investor Heinrich Pecina. Márton Gergely und seine Kolleg_innen sehen es auch als ihre Aufgabe, auf die Machenschaften Pecinas, dessen Firma VCP gerade in Osteuropa sehr aktiv ist, hinzuweisen. «Wir wollen, dass die Betroffenen googeln können und lesen, was für eine Art Geschäftsmann er eigentlich ist.» Selbstredend dürfte Herrn Pecina diese Internetzpräsenz recht unangenehm sein. Meine Wikipedia-Recherche informierte mich darüber, dass für den Eintrag «Heinrich Pecina» ein Löschantrag gestellt wurde. Begründung: «enzyklopädische Bedeutung nicht feststellbar». Zur Zeit des Redaktionsschlusses war die Löschdiskussion noch im Gange.
In dieser Ausgabe richtet der Augustin mehrmals den Blick über die Landesgrenzen. Kerstin Kellermann versucht in ihrem Beitrag «Was passiert wirklich in Kroatien?» in Erfahrung zu bringen, wie es aus Österreich dorthin abgeschobenen Flüchtlingen ergeht (S. 10). Eine Auswahl seiner Fotos aus der südosttürkischen, vorwiegend von Kurd_innen bewohnten Großstadt Diyarbakır stellte Mehmet Emir zusammen (S. 20–21) – «Gassen als Spielstätten» sind nach den Kämpfen und dem staatlich angeordneten Abriss zahlreicher Gebäude wohl Erinnerungen an eine Welt von gestern. Aber nicht nur «Jammertäler» stehen im Augustin-Fokus: Raphael Kiczka sprach mit Betreiber_innen des «Hotel Cosmopolis» in Augsburg, wo Tourist_innen, Geflüchtete und Künstler_innen Leben und Kunst unter ein Dach bringen (S. 16–17).
P. S.: Auch das Filmfestival «This Human World» (ab 1. 12.) «screent die Welt» und verlost 3 x 2 Tickets an unsere Leser_innen. Mehr dazu auf S. 29.