Augustin 430 - 02/2017

(Inter)nationale und heimliche Hymnen

Vor Kurzem war ich bei einer akademischen Feier anlässlich der Verleihung von Master-Graden zu Gast, bei der, neben den üblichen Reden, Streichquartett-Musikeinlagen und der Vorstellung der Diplomand_innen, auch das anwesende Publikum zu einem Schuss Aktivität (zusätzlich zum Händeklatschen) eingeladen wurde. Nämlich zum Mitsingen dreier hymnischer Gesänge: dem «Gaudeamus igitur», der österreichischen Bundeshymne und der Europahymne.Beim Intonieren letzterer war ich irritiert, als die anderen, im Gegensatz zu mir, nicht Schillers «Ode an die Freude» zur Beethoven’schen Melodie sangen. Ein Blick auf den vorher ausgeteilten Spickzettel mit den Lyrics der Liedauswahl belehrte mich, dass eine mir bis dahin unbekannte Dichtung als Text zur europäischen Hymne gewählt worden war, welche mit den Worten «Eins geworden ist Europa, bleiben möge es vereint» beginnt. Offiziell hat die Europahymne gar keinen Text, dazu heißt es auf der EU-Homepage: «Ohne Worte, nur in der universellen Sprache der Musik, bringt sie die europäischen Werte Freiheit, Frieden und Solidarität zum Ausdruck.»

So gesehen wäre nur ein Mitsummen adäquat. Gänzlich unpassend wäre es jedoch, bei offiziellen Anlässen Kurt Sowinetz’ Verse, die er 1972 zur Melodie aus der 9. Sinfonie zum Besten gab, zu singen. Mit «Olle Menschen samma z’wida» hielt der Schauspieler vielen seiner mi­santhropischen Mitmenschen einen Spiegel vor die Augen. Oft entsteht der Eindruck, dass so manche Bürgerin und so mancher Bürger das böse Lied als ihre heimliche Hymne verinnerlicht haben. Der Augustin ist jedenfalls kein Zwiderwurzn-Organ, sondern blickt, wenn nötig, kritisch-skeptisch auf Zustände, Geschehnisse, Entwicklungen und Vorhaben – diesmal nahmen Lisa Bolyos und Ruth Weismann das rotschwarze Regierungsübereinkommen unter die Lupe und befragten Expert_innen zu ausgewählten Punkten des gar nicht großen Wurfs (S. 6–7).

Dass große Entwürfe, zumindest wenn es um Bauvorhaben geht, sich selten als große Würfe entpuppen, zeigt sich leider immer wieder. Kostenexplosionen schon in der Planungsphase sollten zu denken geben und öfter zum Abbruch unsinniger Geld- und Ressourcenvernichtungsprojekte führen (z. B. Brennerbasistunnel, dazu Reinhold Schachner auf S. 12). Nun hat das Bundesverwaltungsgericht den Bau der 3. Piste des Flughafen Schwechat untersagt, was zu Hoffnung Anlass gibt. Der Augustin brachte ja die vielleicht umfangreichste Medienberichterstattung zum geplanten Ausbau des Wiener Flughafens (siehe Augustin Nr. 422, 424 und 426), und nein, wir sind nicht so vermessen zu glauben, damit das Gericht beeinflusst zu haben, wir freuen uns aber über diesen «Etappensieg» auf dem langen Weg in die richtige Richtung.

Noch ein Grund zur Freude: Der Dokumentarfilm «Holz Erde Fleisch» von Augustin-Mitarbeiter Sigmund Steiner (Augustin-TV-Sendung «EingSCHENKt») wurde mit dem österreichischen Filmpreis ausgezeichnet. Wir gratulieren von Herzen!

Der Elefant im Weltladen

eingSCHENKt

Er hat einen breiten, hohen Rücken, der Kopf mit Mund geht nach unten, der Rüssel zeigt nach oben. Der Elefant, der da über die Erdkugel spaziert, bildet die Entwicklung der Einkommen in den letzten 30 Jahren ab. In einer Grafik, die als Elefantenkur… weiterlesen

Von bösen Hausbesitzern und guten Mieter_innen

Betrachtungen eines Korrekturlesers, Teil 3

Ist das Böse männlich? Und ist es feministische Ritterlichkeit oder paternalistische Bevormundung, Frauen keine Bad Girls sein zu lassen? Im Gendern verraten sich mitunter archaische Geschlechter­vorstellungen. Von Richard Schuberth

Bildtext: Ist d… weiterlesen

Bolschewismus im Gemeindebau

Spaziergänge durch die Immobiliengeschichte Londons

London ist der Inbegriff einer Stadt, in der man sich das Wohnen nicht leisten kann. Dabei lebte bis in die 1970er-Jahre ein Drittel aller britischen Haushalte in sozialem Wohnbau!In manchen Bezirken Londons wurde damals nicht nur kommunal gebaut, so… weiterlesen

Würschtlmorde

Bibliotick

«Unter Gemüsehändlern», wurde gesagt. «Familienfehde.» «Türkenmafia.» «Dönermorde.» Und dann, als sich mit einem Schlag herausgestellt hat, dass es Nazis gewesen waren, war da niemand mehr, der sich entschuldigen wollte. Mit «URTEILE» schreibt ein Bü… weiterlesen

Mile me deaf

aufglegt

Undiszipliniertes Gitarrengezerre war gestern, Wolfgang Möstl steuert sein Mile-Me-Deaf-Konzept in diffusere Welten.Jenseits dieser Tage spinnt er sich aus über das Verschwinden der Menschheit und weitere Jenseitigkeiten. Andere Lebensformen werden a… weiterlesen

Das Leben hängt tief

Regisseur, Poet, Theatermacher: Ernst Marianne Binder ist in Graz gestorben

«Oft scheitert ein Selbstmordversuch an so lächerlichen Dingen, wie dass man gerade keine saubere Unterhose anhat oder der Abschiedsbrief noch überarbeitet werden will, man die vermeintliche Überdosis Schlaftabletten einfach überschläft …Was bleibt… weiterlesen

Heli Yletinen: Gedicht

die poesie ist moeglich
gedichte sind geboren in illumination

die klugheit von woertern ist die einfachste loesung

wie sollte alles nur funktionieren in die richtung klarheit und dynamik

deutlichkeit ist ohne grenzen die moeglichkeit.

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Das Testament

1

Ulrike brach in Tränen aus, als der Arzt die Diagnose aussprach: beginnende Demenz. «Nicht traurig sein! Es kann zehn Jahre dauern, bis Sie ein Pflegefall werden!» Der weißhaarige Mann streichelte Ulrikes Haar. «Es gibt viele wie Sie.»

Illu: Karl… weiterlesen

Von Hochspannung zu hochspannenden Instrumenten

Aus der KulturPASSage

Diesmal war ich zu Gast im Technischen Museum. Dort fand ein Hochspannungsfest statt, das allen Leuten Gratis-Eintritt verschaffte und das außerdem eine Hochspannungsvorführung beinhaltete, bei der der neue Tesla-Transformator eingeweiht wurde und ei… weiterlesen

Wörterreihen III

Stelle meine Frucht an den Ball der Säle. In einem Kontrabass der singenden Fruchtblase. An der Enge vorbei. Schenkelklopfen am Meeresspiegel. Seelenzweig.

Foto: Claudia Magler
Den Hang hinab und allen Vieren. Globus wachbereiter Muren und Musen. Sp… weiterlesen

Ich dachte, Glücksspiel sei verboten? (3. Teil)

Meine Wohngeschichte

Unzählige Umzüge und auch zeitweilige Obdachlosigkeit hat Hans Wurst schon hinter sich. Davon erzählte er in Augustin 427 und 428 und auch, warum seine derzeitige Wohnsituation als «Untermieter» in einer Gemeindewohnung illegal ist. Diesmal schreibt … weiterlesen

Kleiner Kärntner Alkoholführer

Herr Groll auf Reisen 298. Folge

Der Dozent traf seinen Freund Groll im Theatercafé in Klagenfurt. Dort liegen ausländische Zeitungen auf, die Atmosphäre entspricht der eines Wiener Kaffeehauses, und das Publikum ist nicht so blasiert wie im Hotelcafé Sandwirth.

Foto: Mario Lang
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TUNMAG: Hausschlapfenpflicht & Bettelverbot

Der Februar begann für die Klasse 4b mit einem Polizeieinsatz: Ausgang der U-Bahnstation Landstraße, am Vormittag des 2. Februar 2017. Die verdutzten Schülerinnen und Schülern der 4b-Klasse des Gymnasiums Kundmanngasse (Wien-Landstraße) werden von ei… weiterlesen

Wir sind die 9 Prozent

Kleidervorschriften, Fußfesseln, Mindestlohn – ein Regierungsprogramm

Frauen wird gesagt, was sie (nicht) anziehen dürfen, ein «Verdacht auf einen Verdacht» hebt die Unschuldsvermutung auf, und der soziale Wohnbau soll in Zukunft Gewinn bringen. Aber zumindest darf man gegen all das weiterhin demonstrieren! Ruth W… weiterlesen

Stadt ohne Angst

Stadtbürger_innenschaft: Teil 3/4, Toronto

Seit genau vier Jahren ist das kanadische Toronto eine «Sanctuary City». Unabhängig von ihren Aufenthaltspapieren sollen alle Bewohner_innen städtische Angebote in Anspruch nehmen können. Der Sieg ist errungen, aber wie rosig sieht die Praxis aus? Li… weiterlesen

Ein Skandal wird dreißig

Sachwalterschaft: Warten auf die Reform

Erwachsenenschutz statt Sachwalterei. Die Reform des Sachwalterrechts soll den Betroffenen mehr Mitsprache und weniger Fremdbestimmung bringen. Aber wann wird sie umgesetzt? Text: Christian Bunke, Illustration: Silke MüllerÜber drei Jahre wurde im Ju… weiterlesen

Im Vorgarten Wiens

Flaniermeilen im (noch) nicht so hippen Teil der Leopoldstadt

Wer sagt, dass es Prachtboulevards nur in Innenstädten gibt? Wien hat mindestens zwei in der Vorstadt: die Vorgartenstraße und die Engerthstraße, im Norden des zweiten Gemeindebezirks. Ruth Weismann (Text und Fotos) ist spazieren gegangen und hat ein… weiterlesen

Eine neue Eurovision

Im niedersächsischen Hitzacker baut eine Genossenschaft in Gemeinschaft

Aus dem Nichts entsteht ein Dorf im Wendland für Familien, Flüchtlinge und Ältere. Im Kleinen wollen die Bewohner_innen dort vorleben, wie das Europa der Zukunft aussehen könnte. Benjamin Laufer (Text) und Lena Maja Wöhler (Fotos) besuchten Hitzacker… weiterlesen

Calle Cuba

Wie man in Havanna den schnellen Peso macht

Wegen der beengten Wohnverhältnisse (siehe Augustin Nr. 428) ist in Kuba, insbesondere in Havanna, die Straße Lebensraum, Umschlagplatz für Informationen und Anbahnungsort für Geschäfte. Eine Reportage von Franz Indowa (Text und Fotos).«Hello, where … weiterlesen

Als ob Gott sich schlafen legte

Marcel Odenbachs Kunst sieht sich Opfer-Täter_innen-Strukturen an

Marcel Odenbach bekam die Lebenspakete «Holocaust» und «Kolonialismus» in seiner Großfamilie hautnah mit. In der Kunsthalle stellt er seine eigenwilligen Videos und Papierarbeiten aus hunderttausend Bildchen aus – hie und da mit einem Kindersche… weiterlesen

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