Augustin 431 - 03/2017
Spazieren, streiken, sonnen
Dies ist das erste Editorial, das ich für den Augustin schreiben darf. Die Latte liegt hoch, denn mit der aktuell hoch stehenden Sonne kann ich schwer mithalten. Denn sie sendet ebenfalls «Erstes»: Sonnenstrahlen nämlich.Es wird Frühling, es wird warm. Nach diesem für hiesige Verhältnisse besonders kalten Winter dürfte das wohl viele freuen. Jene, die nicht heizen können, jene, die Tage und Nächte draußen sind, jene, die in Winterdepression verfallen, und jene, die gerne durch Straßen und Gassen spazieren. Auch in Lissabon war das Wetter schön, wo Fotograf Mehmet Emir unterwegs war (S. 16). Gutes Wetter freut auch jene, die zum Protestieren auf die Straße gehen, so wie eine gute Freundin von mir, die in New York lebt. Aktivistin war sie bislang nicht. Seit der Wahl des (Twitter-)Präsidenten Donald Trump aber ist sie fast jeden Tag auf einem Plenum, einer Demonstration, schreibt Briefe an Senator_innen, beschäftigt sich mit Widerstandsstrategien, diskutiert mit Facebook-Friends und postet Artikel. Weil sie, wie sie erklärt, die autoritäre, sexistische und rassistische Politik, für die Trump steht, nicht hinnehmen will. Es beeinflusst schließlich auch ihr eigenes Leben, trotzdem sie im liberalen Big Apple zu Hause ist.
Wie sie die Atmosphäre des Women’s March Ende Jänner empfand, habe ich sie anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März gefragt, der heuer im Zeichen eines transnationalen Streiks steht. Zu Wort kommt auch eine Aktivistin der österreichischen, feministischen Plattform «Frauen wollen mehr», die sich anlässlich des Bundespräsident_innenwahlkampfs gegründet hat und nun zum Frauen-Streik aufruft (S. 6). Was zur Frage führt, ob es nicht auch ein legitimer Streik sein könnte, sich nicht einfach vom nächstbesten Ordnungsorgan anfassen zu lassen, wie es einem Fahrgast der Wiener Linien passierte. Robert Sommer berichtet darüber auf Seite 10.
Zum expliziten Anfassen ist hingegen Kattun. Ein Stoff, aus dem Träume sind? Vielleicht. Zumindest aber Zukunftsperspektiven für Geflüchtete, Langzeitarbeitslose und Haftentlassene, die in der gerade von St. Pölten nach Wien übersiedelten Kattunfabrik arbeiten, wovon Chris Haderer berichtet (S. 18). In Wien «spielt» auch der vierte und letzte Teil der Augustin-Serie über Stadtbürger_innenschaft, diesmal von Christoph Mackinger (S. 8). Für die thematisch passende Ringvorlesung «Stadt für Alle?! Zwischen lokalen Grenzpraktiken und Urban Citizenship» gestaltet Augustin-Redakteurin Lisa Bolyos eine Einheit im April, und im Juni gibt’s die «Strawanzerei» – einen Augustin-Stadtspaziergang für alle. Mit dem Spazierengehen können wir aber, wie gesagt, schon jetzt beginnen. Solange der Frühling sein eben erst gegebenes Versprechen nicht gleich wieder fallen lässt.