Augustin 434 - 05/2017

Wahrnehmung

An diesem regnerischen Freitag bietet der Blick aus dem Fenster kaum Inspiration – Regentropfen, die auf ein Blechdach platschen, lullen den Denkapparat eher ein, als dass sie ihn anregen.Trotzdem muss jetzt – Tage, bevor diese Augustin-Ausgabe in den Straßenverkauf kommt – das Editorial zu unseren 40, respektive 56 Seiten (Strawanzerin und Beilage «Der Hammer» eingerechnet) geschrieben werden. Sicheres Terrain als Ausgangspunkt von Betrachtungen aller Art bietet das sogenannte unbestechliche Zahlenmaterial: Dies ist die siebente Augustin-Ausgabe dieses Jahres. Somit hat die Redaktion noch nicht ganz ein Drittel der Jahresproduktion bewältigt, die bis 31. 12. 2017 unser Zeitungsarchiv um mehr als 1000 Seiten wachsen lassen wird. Hätte ich die Muße und Spaß an der Rechnerei, wäre es eine schöne Spielerei zu extrapolieren, wie viele Reportagen, Interviews, Kolumnen, Kreuzworträtsel, Gedichte, Erzählungen, Fotos, Illustrationen … noch bis zum letzten Redaktionsschluss des Jahres entstehen werden. Weitaus interessanter wäre es, sich anzuschauen, wen und was der Augustin in seinen Fokus nimmt, als bloß die reine Quantität einzelner Zeitungselemente zu erheben.

Eine der hehren Aufgaben von Journalismus ist es, Weltwahrnehmung zu (re)präsentieren. Was wiederum die Wahrnehmung der Leser_innen beeinflusst – damit liegt ganz schön viel Verantwortung in den Händen der Medienmacher_innen. Denn es gilt, die Wahrnehmung zu schärfen, und nicht, sie zu vernebeln. Es geht darum, verschiedene Blickpunkte sichtbar zu machen, einmal ein paar Schritte in die eine oder andere Richtung zu gehen, um ein größeres Bild zu erhalten, dann aber wieder Details hervorzuheben, und ein anderes Mal darum, präzise zu analysieren oder – im Gegenteil – völlig subjektiv eine Geschichte zu erzählen. Wir streben an, eine gute Auswahl von Weltbildern, ob ausschnitthaft oder panoramamäßig, in unseren Medien (Print, Radio, TV, Online) zusammenzutragen, und hoffen, dass das Augustin-Projekt eher als Patchwork und weniger als lückenhaftes Mosaik wahrgenommen wird.

Im aktuellen «Sammelsurium» an Berichten, Porträts, Ankündigungen, Gesprächen, Fotos, Zeichnungen usw. zieht sich «Wahrnehmung», also Sehen, Hören, Erfahren als roter Faden hindurch. Was etwa das AMS als Schwarzarbeit wahrnimmt und streng bestraft, erscheint der Betroffenen im Interview mit Lisa Bolyos als existenzgefährdender Willkürakt (S. 10). Ein klassisches Medium der Weltwahrnehmung ist Kinofilm. Wenzel Müller besuchte den Filmclub Drosendorf

(S. 16–17) und eröffnet eine Serie in losen Abständen über Kinos im ländlichen Raum. Blinde Flecken in der medialen Wahrnehmung u. a. des Irakkrieges zeigt die US-Journalistin Sarah Glidden in ihren Comics, die Martin Reiterer auf den Seiten 26 bis 27 vorstellt. Nicht nur die örtliche Position von Reisenden ändert sich, sondern auch der Blick auf die Umgebung. Davon erzählt Andrea Vanek (S. 32–34) neben anderen Autor_innen im kleinen Reiseschwerpunkt im Dichter Innenteil.

Wahnsinn 0,009 Prozent

eingSCHENKt

Ein Anschauungsbeispiel für die realitsferne Propaganda rund um die Mindestsicherung lieferte erst kürzlich das neue Gesetz im Burgenland. Der Landtag im Burgenland verwehrt Armutsbetroffenen demokratische Standards wie einen schriftlichen Beschied, … weiterlesen

Reise auf sechs Beinen (1)

1. Tag: Mitterbach – Hagengut – Ötscherhias – Stierwaschboden – Erlaufboden

Ich beginne mit dem Moment, als wir uns von den Eltern verabschieden, ich und mein Hund. Sie haben uns davor vom Parkplatz in Mitterbach bis hierhin, zum Ötscherhias, Gesell… weiterlesen

Juans Erinnerungen

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (78)

Hüseyin ist der Meinung: «In Wien gehen einem die Geschichten und das damit verbundene Kennenlernen neuer Menschen nie aus.»

Grafik: Carla Müller
Als er eines Abends bei seinem zypriotischen Freund vorbeischaut, sieht er ihn an einem Tisch mit einig… weiterlesen

Suche den Zug

Versteh´ nur Bahnhof

Der Mann, der sich immer mehr erinnerte, begnete letztendlich der Frau, die immer jünger wurde. Und das geschah an einem guten Tag, obwohl in diesem Moment von Zeitbegrenzung keine Rede war. Der Augenblick des Kennenlernens konnte genauso gut ein hor… weiterlesen

«Ich werde nie mehr auf der Seite der Henker stehen»

Jean Ziegler über Gipfelproteste, die Zivilgesellschaft und den Kampf gegen die Banken

Der Grat ist schmal, die Hoffnung reell. In seinem aktuellen Buch «Der schmale Grat der Hoffnung» blickt Jean Ziegler, Mitglied im beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrates, auf ein aktives Leben zurück. Die Zukunft, meint er, liegt in der Hand… weiterlesen

Bier & Sonnenbrand? Nur für Reiche!

Gesundheits-Apps und Datenkörper – eine kleine Dystopie

Ein Bier zu viel? Lieber mit der U-Bahn gefahren? Einen Sonnenbrand riskiert? Die Versicherung wird’s verrechnen! Alban Knecht und Martin Schenk malen sich aus, wie sich das menschliche Verhalten direkt auf die Versicherungsleistung auswirken könnte… weiterlesen

«Mein Leben ist auf Pause gestellt, meine Kosten nicht»

Wie man trotz bestem Willen zu einer Arbeitsmarktsperre kommt

Lohnarbeit kann manchmal ein Schuss ins Knie sein. Zum Beispiel für Jovanna M., die sich Jobs suchte, um ihren Alltag in Wien zu bestreiten – und dafür vom AMS mit einer Sperre belegt wurde. «Sie motivieren Leute, nicht zu arbeiten», sagt sie im… weiterlesen

Das Kapital versalzt die Suppe

Altersheim: Essen aus Frisch- und Großküchen

Na Mahlzeit! Zehntausende Menüs werden in Wien in Altenheimen, Kindergärten oder Spitälern jeden Tag serviert. Die Wirtschaftsform bestimmt die Qualität. Clemens Staudinger über Gewinnorientierung versus gesunde Ernährung.

Illu: Much

Das «Kurato… weiterlesen

In Ruhe bilanzieren

Augustin-Verkäufer Dietmar Perny (9. 2. 1960–21. 3. 2017)

Der Lärm von Staubsaugern konnte Dietmar auf die Palme bringen, dagegen liebte er die Musik von Frank Zappa und galt als sehr belesen. Der Augustin-Verkäufer hatte nicht nur einen leicht verschrobenen Musikgeschmack, er führte selbst ein schräges Leb… weiterlesen

Unerklärliche Trauerwolke

Sachbuch: Familiäre Befragungen zur NS-«Eutahnasie»

Von einer Bekannten habe ich erfahren, dass ihre Schwester jahrelang Therapie brauchte, um herauszufinden, dass ihre Urgroßmutter Opfer der NS-«Euthanasie» geworden war.Die Oma hatte als Kleinkind den Schock erlebt, plötzlich und völlig ohne Erklärun… weiterlesen

Bantelmann bleibt!

Wiener Immobilienfirma «hilft» Berlin zu gentrifizieren

«Bantelmann» ist ein typisch Berliner Kiezladen, Adresse: Wrangelstraße 86. In den zwei kleinen Ladenlokalen kann man fast alles kaufen, Dinge, die man braucht (Wäscheschnur, Batterien), und solche, die man keinesfalls braucht (Leuchtdekoration, Hand… weiterlesen

Was ist eine «staatsfeindliche Bewegung»? Staatsfeind_innen-feindliches Gesetz hat Feind_innen

Was unter «Staatsverweigerer» verstanden wird, ist recht divers. Schlagzeilen machen immer wieder mal Menschen, die eben den Staat nicht anerkennen und sich daher weigern, Verwaltungstrafen oder Steuern zu zahlen. Manchen wird auch vorgeworfen, Drohu… weiterlesen

Das Wirtshaus-Kino

Ausflug an die Grenze zu Tschechien

Hier nehmen Kinobesucher_innen an Tischen Platz, auf denen das Glas Bier oder Wein abgestellt werden kann. Der Filmclub Drosendorf sorgt im Waldviertel regelmäßig für Kinogenuss der anderen Art, den Wenzel Müller (Text und Foto) erleben durfte.I… weiterlesen

Testosteron und der Kampf ums Niveau

Eishockey in Wien, Teil 2: Platzhirsche und Nachwuchs

Die Vienna Capitals haben den Meistertitel geholt und blieben in den Playoffs sogar ungeschlagen.  Das Match um die Fankultur und die Nachwuchspflege wurde schon deutlich früher gewonnen. Karl Weidinger (Text und Fotos) war beim Lokalaugenschein… weiterlesen

Stadt-Wahrnehmung

Wenn beim Fotografieren Farben bedeutungslos sind

Blinde Menschen, die mit Fotoapparaten durch die Stadt schlendern, provozieren bei sehenden Stadtbenützer_innen ein Fragezeichen. Lisa Puchner erhielt von zwei Teilnehmer_innen des Blind Photography Project Antworten.

Foto: Mathias Schmuckerschlag
weiterlesen

Tanz die Prekarität!

Förderungen und Durststrecken in der Tanz- und Performance-Szene

Zum Verhungern zu viel, zum Tanzen zu wenig: Die Förderstrukturen für die freie Tanz- und Performanceszene empfinden viele Insider_innen als unbefriedigend. Veronika Krenn (Text) und Marion Wagner (Fotos) haben mit Tänzer_innen und Choreograf_innen ü… weiterlesen

Vor dem Krieg waren wir Menschen

Irak und Syrien zwischen den Kriegen – eine Reportage in gemalten Bildern

Wie lebt es sich mit den Folgen des Krieges? Sarah Glidden zeichnet in ihrer neuen Graphic Novel das Leben im Irak und auf der Flucht aus dem Irak nach Syrien. Martin Reiterer erkennt darin auch eine Hommage an aktuell Flüchtende.Eine Frau, aus dem I… weiterlesen

Witzfigur, Heldin, Projektionsfläche: Die jüdische Mutter auf der Kabarettbühne

«Meine Mutter schenkte mir zwei Blusen. Als ich das nächste Mal zu ihr auf Besuch fahre, beschließe ich: Ich ziehe eine der Blusen an, das wird sie freuen. Meine Mutter öffnet die Tür und sieht mich von oben bis unten an: ‹Schön, dass du die Bluse tr… weiterlesen

teilen: