Augustin 475 - 02/2019
Mister Ripleys neuester Coup
«Was», fragte der kroatische Philosoph Srećko Horvat jüngst in der Berliner Wochenzeitung Der Freitag, «wenn die Wahl zwischen liberaler und illiberaler Demokratie in Wahrheit gar keine ist (…)? Was, wenn es sich nicht um Gegenteile handelt, sondern die beiden sich stattdessen gegenseitig verstärken?»
Horvats Fragen sind nicht neu, die Antworten liegen auf der Hand. Der autoritäre Wind, der derzeit durch ganz Europa fegt, ist eine direkte Folge der neoliberalen Paradigmen, die in den letzten 40 Jahren wenige Menschen reich, sehr viele dagegen bitterarm gemacht haben. Wer glaubt – und das scheint immerhin zwischen Löwelstraße und Hofburg der Fall zu sein –, man müsse die Ausbeutung des Menschen (einer Klasse) durch den Menschen (einer anderen) bloß wieder etwas manierlicher (Pressefreiheit!) und wohlgeordneter (Rechtsstaat!) gestalten, um die Katastrophe aufzuhalten, irrt.
Ihren begrifflichen Ursprung hat die «illiberale Demokratie» übrigens in Budapest. Dort baut Victor Orbán seit 2010 an einem Projekt, das neoliberales Wirtschaften, staatliche Repression und rassistische Spaltung in eins zu setzen sucht. Allerdings: Die Proteste gegen das Ende letzten Jahres verabschiedete Arbeitszeitgesetz bringen den ungarischen Ministerpräsidenten neuerdings unter Druck. Barbara Eder hat sich für unsere Cover-Story nicht nur die jüngste Protestbewegung, sondern auch das ideologische Fundament des «illiberalen Staates» angesehen (Seite 6).
Die ungarischen Verhältnisse kennt auch Árpád Schilling bestens. Tag des Zorns, das jüngste Stück des Theatermachers (eigentlich eine Co-Autorenschaft), feierte Mitte Jänner im Theater Drachengasse Premiere. Darüber und über die politische Situation in seinem Heimatland hat sich Veronika Krenn mit Schilling unterhalten (Seite 30).
Anders als am Theater gibt es in der ÖVP unter Sebastian Kurz keine Widersprüche mehr. Mister Ripleys neuester Coup: Die Liste der ÖVP für die EU-Wahlen im kommenden Mai. An erster Stelle steht da mit Othmar Karas ein nach heutigen Maßstäben gestandener Liberaler. Mit Karoline Edtstadler folgt am 2. Listenplatz des Kanzlers Frau fürs Grobe – zuletzt erklärte die Staatssekretärin österreichische Frauenmörder kurzerhand zu Nachahmungstätern ihrer nicht-österreichischen Kollegen.
Mag die «Schließung der Balkanroute» noch der Imagination des jungen Kanzlers entsprungen sein, die Aussöhnung liberaler und illiberaler Positionen ist ihm nicht nur innerhalb der Koalition, sie ist ihm sogar in seiner eigenen Partei ganz real geglückt.
Wie sich der «falsche Gegensatz zwischen ‹liberaler› und ‹illiberaler› Demokratie» (Horvat) überwinden ließe? Mit einer Prise Klassenkampf womöglich (diesmal aber Unten gegen Oben), einem Hauch von Erfolg (fürs Gemüt), einem Sonderzug nach Omsk (für Herbert Kickl) und einer Idee vom Ziel (vorerst vielleicht einfach: ein gutes Leben für alle).