Augustin 493 - 11/2019
Nicht nur Gaumenkitzel
«Es ist nicht möglich, lustvoll zu leben, ohne einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ebenso wenig, einsichtsvoll, vollkommen und gerecht zu leben, ohne lustvoll zu leben», schrieb Epikur vor über 2000 Jahren. Menschen streben nach Lust und vermeiden Unlust. Übermäßiger Lustgewinn, etwa ein paar Achterl über den Durst trinken, kann einen Brummschädel hervorrufen, was im Allgemeinen als eher unlustig empfunden wird. Es gilt also das richtige Maß zu finden. Wer rücksichtslos dem Hedonismus Fröhnende Epikureer nennt, tut demnach dem altgriechischen Philosophen ziemlich unrecht.
Warum dieser populärphilosophische Exkurs am Beginn? Weil wir in diesem AUGUSTIN einen Schwerpunkt zum Thema Genuss- und Lebensmittel haben. Essen und Trinken ist ja nicht nur notwendig, nach Möglichkeit sollte die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme auch Lust bereiten. Wir beschäftigen uns aber nicht (nur) mit Gaumenkitzel und Geschmack, sondern mit gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Zusammenhängen.
Unser Titelbild verrät es – es geht u. a. um Fleischkonsum. Lisa Bolyos setzt sich in ihrem Artikel vor allem mit den klimarelevanten Aspekten der Nutztierzucht und -verwertung auseinander (S. 6 & 22) und befragte Bäuerinnen und Wissenschaftler_innen zur Thematik. Im Durchschnitt verzehren Österreicher_innen ein Mehrfaches der von der WHO empfohlenen Fleischmenge, und auch beim Alkoholkonsum liegen die Bewohner_innen dieses Landes statistisch über den Werten, die als gesundheitlich verträglich eingestuft wurden. Interessant ist, dass das Trinken von Schnaps, Bier, Wein … im gesellschaftlich-politischen Diskurs so gut wie gar nicht in Frage gestellt wird und dass mit dem Argument, es habe sich um eine «bsoffene Gschicht» gehandelt, jedwedes (staats-)schädigende Fehlverhalten von Täter_innen und ihren Fans als unerheblich abgetan wird. Interessant ist auch, in welchen Zusammenhängen übermäßiges Trinken akzeptiert und nicht akzeptiert wird. Christian Bunke stellt in seinem Beitrag zum Alkoholverbot (S. 8) die Frage, ob es dabei nicht weniger um «Sicherheit» als um den Wunsch, bestimmte Bevölkerungsgruppen unsichtbar zu machen, geht – und um den Irrglauben, sich dadurch nicht um Problematiken wie Sucht, Armut, Wohnungslosigkeit kümmern zu müssen. Kaum Probleme mit Exekutive und Anrainer_innen haben Teilnehmer_innen sogenannter Hashes, einer speziellen Art der Schnitzeljagd, die Laufen und Saufen verbindet. Christa Neubauer kennt die Szene und berichtet auf Seite 14.
Der AUGUSTIN ist ja grundsätzlich dem Genießen zugetan. Wir schieben z. B. keine sportlichen Belange vor, um das eine oder andere Seiterl, Kaffeetscherl oder Mostkrügl zu biberln. In diesem Sinne laden wir auch heuer zu alkhältigen und alkfreien Heißgetränken bei unserer Glühmosthütte in der Rahlgasse (S. 10).