Augustin 537
Seetauglichkeit
Als ich vor kurzem zum Augustin-Büro radelte, begegnete mir eine Schulklasse. Jedes Kind trug ein kleines selbstgebasteltes Floß, und wahrscheinlich waren sie mit ihrer Lehrerin zu einem Gewässer unterwegs, um ihre Miniwasserfahrzeuge auf ihre Seetauglichkeit zu testen. Das erinnerte mich u. a. daran, dass die Flößerei historisch eine nicht unbedeutende Form des Gütertransports war – Straßennamen wie Flötzersteig weisen darauf hin. Wiens unter die Oberfläche verlegte oder gänzlich zugeschüttete Bäche freizulegen oder schiffbare Kanäle zu graben – ein reizvolles Gedankenspiel. Freilich müssten dazu ganze Häuserzeilen niedergerissen werden … Na ja, so manches Verkehrskonzept ist nicht umsetzbar, und so manches geplante Projekt ist weder zeitgemäß noch sinnvoll für die Bevölkerung und die Natur. Hinter den Verkehrsgroßbauprojekten in und um Wien (A23, 3. Piste in Schwechat, Breitspurbahn etc.) steht nicht der Wunsch nach Verkehrsverminderung, sondern der Wille, europäische Verkehrsströme an den Großraum Wien zu binden, analysiert Christian Bunke in seinem Beitrag Die Stadtstraße und der Standortwettbewerb (S. 6). Erfolgreichen Widerstand gegen Straßenbau durch die Lobau gab es schon in den 1970er-Jahren. Julia Grillmayr schreibt auf Seite 8–9 vom damaligen und heutigen Protest gegen Beton und Asphalt im Naturschutzgebiet.
Dass sich die Lebensqualität von Bewohner_innen durch Schnellstraßen- und Autobahnbau verbessert, ist in Zweifel zu ziehen und hat sich schon in der Vergangenheit nicht erfüllt. Mehr Straßen bedeuten mehr Autoverkehr, mehrspurige Straßen bringen mehrspurige Staus hervor, von Bodenversiegelung, Abgas, Staub usw. gar nicht zu reden. Ein dichtes Netz öffentlicher Verkehrsmittel, sichere Geh- und Radwege und kurze Entfernungen zu Geschäften, Banken, Gesundheitseinrichtungen, Schulen, Arbeitsorten sind gefragt. Zu hinterfragen ist der sogenannte Standortwettbewerb zwischen Städten. Denn wer will schon an einem Verkehrsknotenpunkt leben. Kein Mensch begibt sich wegen des Flughafens nach Frankfurt am Main. Zieht es Menschen nach Paris, Berlin, Leipzig oder Wien, weil es ein «Standort» ist? Oder weil es ein vielfältiges Kulturleben gibt und interessante Jobs und spannende Menschen, die eine_r kennenlernen kann?