Augustin 576
Absolute Ruhe
Oft arbeite ich von zu Hause. Meine Arbeit als Redakteurin erledige ich großteils am Laptop. Wo ich den hinstelle, ist nebensächlich. Manchmal ist es praktischer, nicht ins Büro zu fahren. Wenn ich schreibe, brauch’ ich Ruhe – die ich in meiner Wohnung habe. Auch wenn das Augustin-Büro in einem ruhigen Hinterhof liegt und unsere Redaktion kein wuselnder Newsroom ist, lasse ich mich leicht ablenken. Für mich ist die Möglichkeit, Home Office zu machen, angenehm und bequem. Aber für Menschen mit AD(H)S kann das Home Office jene nötige Unterstützung sein, um überhaupt einen Beruf ausüben zu können. AD(H)S wird – wie Autismus, Tourette, Dyslexie und vieles mehr – zum neurodivergenten Spektrum gezählt. Als neurodivergent werden Personen bezeichnet, «deren Hirn anders tickt als das der ‹neurotypischen› Mehrheitsbevölkerung» erläutert Bettina Enzenhofer. Sie hat sich in unserer Coverstory (S. 6) mit Menschen mit neurodivergenten Symptomen und ihrer Situation am Arbeitsmarkt beschäftigt. Rücksichtnahme und Rückzugsmöglichkeiten erleichtern neurodivergenten Personen z. B. die Jobausübung. In Österreich besteht bei den meisten Firmen aber kein Interesse, auf besondere Bedürfnisse von Arbeitnehmer:innen einzugehen, was nicht nur bestimmte Personengruppen von der Erwerbstätigkeit ausschließt, auch Arbeitgeber:innen vergeben damit Chancen, Menschen mit besonderen Fähigkeiten ins Team zu holen.
Der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt ist exklusiv. Drittstaatsangehörige, insbesondere ehemals Geflüchtete, kämpfen mit kaum überwindbaren Hürden, wenn sie eine ihrer Ausbildung adäquate Stelle suchen. Markus Schauta traf zwei in Österreich lebende Syrer:innen. Die unbefriedigende Arbeitsplatzsituation betrifft auch sie (S. 10). Kholoud Alenglizi, ebenfalls aus Syrien, die Uwe Mauch als Lokalmatadorin porträtiert (S. 16), darf nicht als Lehrerin arbeiten. Dazu müsste sie noch drei Jahre an einer heimischen Hochschule studieren. Ihr Wissen gibt sie in einem privaten Verein in Form von Nachhilfe weiter. Fragt sich, ob (politische) Entscheidungsträger:innen nicht noch viel mehr Nachhilfe bräuchten.
Coverfoto: Carolina Frank