Augustin 597
Häuser besetzen
Innerhalb von 100 Jahren muss für die Erhaltung eines Gebäudes angeblich etwa der Betrag investiert werden, den die Errichtung des Hauses gekostet hat. Eine Internetrecherche führt mich auf die Seite einer Bausparkasse, wo die Lebensdauer eines Hauses aus Beton mit maximal 150 Jahren angegeben ist. 2027 soll das Universitätszentrum Althanstraße abgerissen werden, erbaut zwischen 1978 und 1995, vorwiegend aus Beton. Das Haus, in dem ich aufgewachsen bin, ist etwa 500 Jahre alt und aus gebrannten Ziegeln erbaut. Das Haus, in dem ich derzeit wohne, ist ein wenig über 120 Jahre alt, saniert wird hier fast dauernd. Wie entscheidet sich, wie alt ein Gebäude werden kann oder darf? Material und Bauweise haben zum Beispiel damit zu tun. Manchmal sind es aber auch Machthabende, denen alter Baubestand ein Dorn im Auge ist.
In den 1970er-Jahren beschloss die Stadt Wien, die meist aus der Biedermeierzeit stammenden Gebäude am Spittelberg völlig zu schleifen. Dagegen gab es Widerstand. 1975 wurde das Amerlinghaus besetzt. Protest und Besetzung waren erfolgreich – heute ist der Spittelberg eine geschützte Bauzone, das Amerlinghaus besteht nach wie vor als autonomes Kulturzentrum. Anlässlich des bevorstehenden Jubiläums erinnert Lisa Bolyos an die Geschichte dieses Kulturzentrums (S. 18).
Besetzt waren bis 1. Mai auch mehrere Wohnungen in einem Haus in der Harmoniegasse im 9. Bezirk. Vom Abriss ist das von Otto Wagner geplante Gebäude nicht bedroht, die meisten Wohnungen stehen aber seit Langem wegen Sanierungsbedürftgkeit leer. Christian Bunke (Text) und Carolina Frank (Fotos) haben das Haus besucht, dessen Besetzer:innen sich ein autonomes Haus Alsergrund als Grätzeltreffpunkt und Wohnraum wünschen (S. 10). Selbstverwaltung, nichtkommerzialisierte Treffs, leistbaren und schönen Wohnraum fordert auch der Augustin, immer schon.
Text: Jenny Legenstein
Coverillustration: Bernd Pegritz