Ausgabe 444 - 10/2017
Nachtasyl & Asylverfahren
Wo ist die tschechische Botschaft in Wien? In der Stumpergasse! Glauben Sie nicht? Chris Haderer (S. 16) wird Sie schon noch überzeugen. Der weiß das nämlich von Jiří Chmel. Aber lassen Sie mich ausholen:1976 wurde die tschechische Psychedelicband The Plastic People of the Universe verboten, zwei ihrer Mitglieder wurden verhaftet. Dieser Angriff auf die Freiheit der Kunst und der Meinungsäußerung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte – und in der Charta 77 mündete. Warum denn jetzt die Charta 77?, fragen Sie. Weil dieser Schrei nach Demokratie noch viel mehr Verfolgung und Verhaftungen nach sich zog und Tschech_innen ins Exil trieb, die in Wien vor genau drei Jahrzehnten ein Lokal gründeten: das Nachtasyl in der Stumpergasse. Wo die «Plastic People» natürlich auch aufgetreten sind, in fragiler nachbarschaftlicher Freiheit. Zum Dreißiger wünschen wir: Všechno nejlepší, Nachtasyl!
Die Tschechoslowakei war in puncto Grenzpolitik ein hartes Pflaster: Ihr Stück vom «Eisernen Vorhang» verzeichnet die meisten Toten – solche, die flüchten wollten, und solche, die dort Wachdienst machten. Die Flucht ist trotzdem vielen gelungen, weil die Not oft größer ist als die Angst. Einer, der es auf extra spektakuläre Weise geschafft hat und heute dafür abgefeiert wird (ein schwacher Trost für alle, die heute ihr Leben riskieren: Der Ruhm kommt! Er braucht nur oft ein paar Jahrzehnte), ist Robert Ospald. Mit ihm hat Robert Sommer (S. 20) in Erinnerungen gekramt.
Dass nach der Flucht oft gähnende Langeweile und zermürbende Ungewissheit warten, hat Gregor Stadlober (S. 6) im Gespräch mit heutigen Asylsuchenden erfahren. Nichts tun dürfen kann eine seelisch sehr ungesunde Erfahrung sein; dass der Arbeitsmarkt für Asylwerber_innen weiterhin verschlossen bleibt, trägt seinen Teil zu diesem gesellschaftlichen Ausgesperrtsein bei. Apropos Arbeitsmarkt: Am 15. Oktober wird es auch darum gehen, wer den gerne liberalisieren würde – nicht im Sinne der Zugänglichkeit, sondern im Sinne eines aufgeweichten Arbeitsrechts. Da gibt es einige, die kaum erwarten können, die Pflichtmitgliedschaft bei der Wirtschafts- und damit bei der Arbeiterkammer Geschichte werden zu lassen. Bye-bye Kollektivvertrag? Hanna Lichtenberger (S. 8) und Clemens Staudinger (S. 11) haben sich über rechte Wirtschafts- und Sozialpolitik Gedanken gemacht.
Bevor ich Sie in die Lektüre dieser druckfrischen Ausgabe verabschiede, erlauben Sie mir noch eine Werbeeinschaltung: Die RD-Foundation (www.rd-foundation-vienna.org), die «sozialpolitisch, kulturell und künstlerisch relevante Initiativen» fördert, hat auch den Augustin mit einem spendablen Betrag für unsere journalistische Arbeit bedacht. Dafür bedanken wir uns – Nachahmungstäter_innen willkommen!