Wien: Hauptstadt mit den meisten Badeanstalten
Wovon viele Geschäftsleute oft träumen, ist bei den Wiener Bädern längst Wirklichkeit: täglich geöffnet. Doch einmal im Jahr steht die obligatorische Generalreinigung an. Für die Badebediensteten bedeuten die Schließtage auch immer so etwas wie Ferien, wie sich Wenzel Müller (Text und Fotos) vor Ort überzeugen konnte.
Bekommen wir Besuch, freuen wir uns natürlich. Doch dann, wenn er sich nach spätestens drei Tagen wieder verabschiedet, sind wir auch froh. Ganz ähnlich geht es den Badebediensteten. Natürlich lieben sie ihre Badegäste, doch wenn die einmal für längere Zeit ausbleiben, freuen sie sich auch. Und dies ist bei den Wiener Bädern jedes Jahr für drei, vier Wochen der Fall, dann, wenn die Revision, die obligatorische Generalreinigung, ansteht.
Bad geschlossen. So steht es außen am Eingang des Jörgerbads in Wien-Hernals. Wir haben uns angemeldet und dürfen hinein.
Was für ein seltener Anblick! Wo sich an guten Besuchstagen bis zu 1000 Badegäste tummeln, ist es nun ganz ruhig. Alles Wasser ist aus dem Becken gelassen, immerhin 400 Kubikmeter, das Abpumpen hat mehrere Tage gedauert. Niemand plantscht, niemand zieht seine Bahnen. Daher auch keine Zwistigkeiten zwischen Sportler_innen und Genussschwimmer_innen, zwischen Jugendlichen und Senior_innen. Der Bademeister, der in erster Linie dafür Sorge zu tragen hat, dass hier niemand im Wasser ertrinkt, ist im Normalbetrieb oft genug auch als Mediator gefragt, als Vermittler und Schlichter zwischen den streitenden Parteien.
Die Zeiten sind hektischer geworden, auch im Bad. «Früher kamen die Badegäste und ließen sich Zeit, oft mehrere Stunden, heute kommen sie auf die Schnelle, machen ihre Bahnen und sind schon wieder fort», sagt Peter Blechinger. Er muss es wissen, denn er ist seit 34 Jahren im Dienst der Wiener Bäder und seit 17 Jahren Chef des Jörgerbads.
Kaugummi auf Nirostastahl.
Schließtage bedeuten für die Badebediensteten – neben dem Bademeister arbeiten hier auch Leute an der Kasse und an den Maschinen – auch immer: Ferien. Ferien von den Badegästen, Ferien von Lärm, Streit, Hektik. Ihr Reich haben sie dann ganz für sich allein. Freilich geht die Arbeit weiter, wenn auch nicht etwa mit Dienst am Beckenrand, sondern mit Besen, Bürste, Reinigungsmittel.
Während der Revision wird das Bad gründlich auf Vordermann gebracht. Wände streichen, den Dreck aus den hintersten Winkeln holen, Duschräume neu verfliesen. Für Facharbeiten werden Firmen engagiert, einfachere Arbeiten übernehmen die Badebediensteten selbst, so etwa die Reinigung des Schwimmbeckens.
«Man glaubt gar nicht, wie schwer Kaugummi vom Nirostastahl abzubekommen ist», klagt ein Bademeister. Er trägt Gummistiefel, Handschuhe und Arbeitsbrille, zum Schutz gegen die scharfen Reinigungsmittel.
Keine leichte Arbeit, trotzdem eine willkommene Abwechslung. Mal etwas anderes. Und vor allem: endlich mal ein geregeltes Arbeitsleben. Morgens um 7 Uhr anfangen und am Nachmittag Feierabend. Das kennen die Badebediensteten sonst nicht. Die Wiener Bäder sind nämlich fast das ganze Jahr über geöffnet, sieben Tage in der Woche, an manchen Tagen bis in die Abendstunden. Und dies bedeutet für die hier Arbeitenden: Schichtarbeit. «Zu einem geregelten Familienleben kommen wir nur während der Schließtage», sagt ein Bademeister.
Mit Kollegen sitzt er an einem Tisch, den sie neben dem Becken aufgestellt haben. Eine Viertelstunde Pause. Sie trinken Kaffee und rauchen. Ja, ist das Bad geschlossen, können sie sich hier auch eine Zigarette gönnen.
Noch ein paar Tage, dann beginnt wieder der Normalbetrieb. Freuen sich die Badegäste, wenn ihr Bad wieder frisch herausgeputzt ist? In der Regel, sagt Chef Blechinger, bleibe jegliche Reaktion aus – sei es, weil die Badegäste die geleistete Arbeit gar nicht wahrnähmen, oder weil sie die als etwas Selbstverständliches betrachteten.
Das ist überhaupt das Schicksal der Wiener Bäder: Sie führen in der Stadt ein recht unbeachtetes Dasein. Oder wussten Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, dass Wien die Hauptstadt mit den meisten Badeanstalten ist? Eben.
Die Wiener Bäder zählen zu den eher weniger spektakulären Errungenschaften des Roten Wien. Dabei tragen sie auf ihre Art stets mit dazu bei, dass Wien im internationalen Ranking um die lebenswerteste Stadt zuverlässig einen Spitzenplatz einnimmt.