Zu Hause auf BesuchDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (37)

Herr Hüseyin ist zu Hause bei seinen Eltern. Während er auf dem Balkon sitzt, beobachtet er, wie sein Vater im Garten vor dem Haus arbeitet. Den Baugrund neben dem Haus hat er vor Jahren gekauft, um darauf ein Haus zu bauen. Obwohl das Grundstück inmitten der Stadt liegt und ein Haus darauf zu bauen viel mehr bringen würde, hat er sich für einen Garten entschieden.

Illustration: Carla Müller

Viele Obstbäume hat er dort gepflanzt. Nussbäume, Maulbeeren, Kirschen, Marillen, Granatäpfel. Jährlich pflanzt er auch viele Gemüsesorten an. Obwohl er 83 Jahre alt ist, arbeitet er immer noch. In seiner Umgebung sind keine Kinder mehr. Alle sind verheiratet und ausgezogen. Hüseyins Vater arbeitet jeden Tag in seinem Garten neben dem Haus, aber auch in seinem 17 Hektar großen Garten, jeden zweiten Tag außerhalb der Stadt! Herr Hüseyin schaut sich täglich mit dem Vater die Nachrichten im türkischen Fernsehen an. Es sind so viele Kommentatoren, dass es dem Hüseyin schwindelig wird! Es gibt regierungsnahe Medien, aber auch Gegner. Die bisher regierende AKP braucht eine Partei zur Koalition. Am ehesten kommt für sie die nationalistische Partei MHP in Frage. Eigentlich passt ihnen die totalitäre Regierungsform der AKP. Bundespräsident Erdoğan agiert so, als wäre er der Gewählte, wie in den USA! Obwohl in der Türkei diese Präsidentenform noch nicht eingeführt worden ist. Hüseyin hatte noch nie so viele Menschen (Frauen) mit Kopftuch auf der Straße in seiner Stadt gesehen. Seitdem er nicht zu Hause gewesen ist, hat sich die Anzahl der Moscheen vermehrt. Inzwischen haben alle diese Moscheen Verstärker. Bei dieser Anzahl von Moscheen ist die Lautstärke entsprechend. Jeder Muezzin möchte lauter sein als sein Nachbar in vierhundert Meter Entfernung. Herr Hüseyin zweifelt an der Verständigung der Moscheen mit dem Allah. Entweder hat er ein sehr gutes Gehör oder einen super Computer für die ihm von der Erde geschickte Botschaft der Untertanen! Auf jeden Fall versteht Hüseyin, obwohl er ganz in der Nähe ist, nichts! Man sitzt in den Kaffeehäusern, schaut hinaus. Es gibt wenig zu sehen! Es gibt wenige Verkehrsregeln. Es wird meist gehupt. Eine Männergesellschaft. Man trifft nur Männer in Lokalen und Kaffeehäusern! Aber all diese Männer tragen gebügelte Hemden und Hosen!

Auf der Straße neben dem Taxistand ein neunjähriger Junge mit einem Sesamringtablett in der Hand. Er hat Ferien. Aber welche! An die Glasvitrine hat er sich angelehnt. Herr Hüseyin fragt ihn, ob er ihn fotografieren darf. Er verstummt, nickt dem Hüseyin zu. Hinter dem Jungen ist ein Schild von diesem Taxiunternehmen «Umut Taxi», also auf Deutsch: «Hoffnung Taxi». Er wird mit größter Wahrscheinlichkeit den ganzen Sommer, sein Sesamringtablett in der Hand haltend, seine Ferien neben diesem Hoffnungstaxistand verbringen. Hüseyin glaubt nicht, dass der Junge nicht lieber am Meer wäre. Er hat sicherlich viele Geschwister. Er muss arbeiten, damit er die Schulausgaben selber finanzieren kann. Herr Hüseyin hatte auch in der Volksschulzeit Sesamringe verkaufen müssen. Er sieht in dem Jungen seine eigene Kindheit. Viele seiner Schulkollegen beneideten den Hüseyin. Viele dachten, Hüseyins Vater sei ein Almancı, also ein Deutschländer*. Aber keiner wusste, dass der Vater kein Geld schickte.

lhr Hüseyin

*Bezeichnung der aus der Türkei stammenden Gastarbeiter in ihrer Heimat