Sachbuch
Das Lohnniveau ist zu niedrig. Die Macht der Arbeitenden ist zu gering. Die Bremsen fürs Superreichwerden sind nicht nur ausgeleiert, sondern wurden abmontiert. In ihrem neuen Buch über die Working Class erzählt die Journalistin Julia Friedrich (Wir Erben, 2015), wie es dazu kam, dass «die Arbeit verloren und das Kapital gewonnen hat». Porträts von Zu-gering-Verdiener_innen und Analysen von Ökonom_innen verwebt sie zu einer Geschichte der Verarmung in der Industrienation. Sie trifft im Untergeschoß vom Berliner Kaufhaus Karstadt, das heute Benkos Signa Holding gehört, Gäste, die an den Veränderungen der Stadt und des Arbeitsmarktes verzweifeln. Sie spricht mit ausgebildeten Musiker_innen, die scheinselbständig an mehreren Schulen unterrichten, und mit Leuten, die U-Bahn-Steige putzen und nicht einmal ein Freifahrtticket bekommen. Wie immer hat Friedrichs solide und empathisch recherchiert. Sie hat Wertschätzung über für jene, die ihr Zeit widmen und Geschichten erzählen, damit sie ihre Bücher schreiben kann. Für die gebürtige oder gut angepasste Wienerin ist das Ganze ein bisschen zu kitschig intoniert. Aber die Fakten halten stand.
Julia Friedrichs:
Working Class. Warum wir Arbeit brauchen, von der wir leben können
Berlin Verlag 2021 317 Seiten, 22,70 Euro