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«Die Armen werden ärmer», sagen die einen. «Die Armut sinkt», sagen die anderen. «Die Reichen werden reicher», die nächsten. Was stimmt da jetzt?Kurz gesagt: Alle drei Aussagen sind richtig. Zur geistigen Selbstverteidigung in Verteilungsfragen fragen Sie immer nach, ob es sich um (individuelle) Lohneinkommen, um (familiäre) Haushaltseinkommen oder um Vermögensbestände handelt. Und checken Sie, ob die konkreten Lebensbedingungen und die Ausgaben berücksichtigt wurden. Das macht einen Unterschied. Bei seriöser Analyse kristallisieren sich drei Trends heraus: 1. Die Intensivität bedrückender Lebenssituationen steigt ganz unten. 2. Der Sozialstaat bremst die sozialen Folgen der Krise und stabilisiert die Mitte. 3. Es gibt eine äußerst hohe Konzentration des Vermögens ganz oben.
Zum Ersten: Die langfristige Entwicklung seit 2004 zeigt eine höhere Intensität von Armutslagen. Angestiegen ist die Intensität. Bis zum Jahr 2011 ist die Gruppe jener Personen, die von mindestens zwei der drei Problembereiche – Armutsgefährdung, erhebliche materielle Deprivation und Haushalt mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität – betroffen sind, um 106.000 auf 388.000 Personen gewachsen. Ihr Anteil unter den Ausgrenzungsgefährdeten stieg von 19 auf 28 Prozent. Und diejenigen, die einkommensarm, depriviert und erwerbsarbeitslos zusammen sind, haben sich mehr als verdoppelt. In dieselbe Richtung weisen die Daten zur Armutslücke. Die wächst. Es ist ein sich vergrößernder Abstand der Medianeinkommen von Armuts- und Nicht-Gefährdeten auf 19 Prozent im Jahr 2011 festzustellen. Dabei werden diese Entwicklungen noch unterschätzt, da es sich hier um eine Statistik von Privathaushalten handelt und Notunterkünfte, Heime, Psychiatrien etc. nicht erfasst sind. Weitere Hinweise: der Anstieg der Mindestsicherungsbezieher_innen und die größere Nachfrage in Notunterkünften und Sozialmärkten.
Die zweite Entwicklung: Sozialstaatliche Instrumente können soziale Folgen der Krise bremsen. Die Haushaltseinkommen bleiben in Österreich insgesamt stabil. Die Höhe der Einkommensarmut bleibt konstant. Die manifeste Armut sinkt auf das – hohe – Niveau von vor 2008. Das ist sehr ungewöhnlich im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Ohne Sozialleistungen wären auch mittlere Haushalte massiv unter Druck und stark abstiegsgefährdet. Im Gegensatz zu Deutschland ist die Einkommensmitte in Österreich wesentlich stabiler. Was wir bei der Einkommensmessung aber nicht sehen, sind die Ausgaben. Die Bereiche Wohnen, Energie und Ernährung sind inflationsbedingt am stärksten gestiegen. Das sind genau jene Ausgaben, die bei einkommensärmeren Haushalten den größten Teil des Monatsbudgets ausmachen.
Und drittens: Es zeigt sich eine äußerst hohe Konzentration der Vermögen ganz oben. Die obersten fünf Prozent besitzen die Hälfte des gesamten Vermögens, die untersten 50 Prozent gemeinsam bloß vier Prozent des Vermögens. Erben ist eine der wichtigsten Vermögensquellen. Die Nationalbank weist darauf hin, dass Besitzer_innen hoher Geldvermögen nur eingeschränkt erfasst werden. Die tatsächliche Ungleichverteilung ist demnach noch viel größer. Hier gibt es keine Mitte. Die Hälfte der Bevölkerung ist «vermögensarm», das Vermögen konzentriert sich ganz oben.