Zurück in die Zukunftvorstadt

Wer im Keller der HTL Donaustadt das Elektronikmuseum betritt, wird sofort ins 20. Jahrhundert zurückgebeamt, in eine Zeit, in der Smartphones und Internet noch «alien technology» waren.

TEXT & FOTOS: CHRISTOPH FELLMER

Zentrale Lage kann man der HTL Donaustadt an der fast gleichnamigen Straße beim besten Willen nicht vorwerfen. An einem frühen Wintermorgen hat die Gegend ­etwas von einem schottischen Hochmoor, nur lauter. Die lokale Ästhetik ­erschließt sich am Weg zur Schule, die von der U2/S-Bahnstation Stadlau aus, hinter einigen Verschubgleisen sowie bestehenden und zukünftigen Großbaustellen, leider nicht zu sehen ist. Die Donaustadtstraße führt in die gefühlt lichtjahreweit entfernte Innenstadt von Kaisermühlen. Im Osten, nach dem Oberen Mühlwasser und vielen eingezäunten Grundstücken, versteckt sich irgendwo die Alte Donau. Eine Tankstelle, ein Fastfood-Restaurant und ein Kebab-Kiosk sorgen für Sprit und Proviant, um hier schnell wieder wegzukommen. Für ihre Lage zwischen einer Gartenhaussiedlung, einem Industriegebiet und einer 94A-Haltestelle können Lehrer:innen und Schüler:innen an der HTL Donaustadt allerdings recht wenig: Seit 1983 ist sie am Standort einer ehemaligen Ovomaltine-Fabrik daheim und wurde mit Zubauten für mittlerweile 1.300 Schüler:innen adaptiert. Als Lehranstalt hat sie nicht nur einen sehr guten Ruf von der Elektrotechnik bis zur Informatik – im Keller befindet sich auch so etwas Ähnliches wie eine Zeitmaschine. Am Portier vorbei, ein paar Stufen ­unter den Klassenzimmern, ist ein Raum, in dem die Zeit stehengeblieben ist. Es ist das Elektronikmuseum an der HTL ­Donaustadt, das eine Technikwelt zeigt, die keine:r der heutigen Schüler:innen selbst erlebt hat.

Wie im Kino.

Das Portal ins 20. Jahrhundert befindet sich im Keller. Neben dem Eingang steht eine Vitrine, darin unter anderem ein Porträt von Heinz Zemanek, der Mitte der 1950er-Jahre das legendäre «Maillüfterl» baute. Hinter der Tür: das übervolle Refugium einer Technik, die es heute so nicht mehr gibt. Gut, ein paar Sachen sind jünger, aber die ­gehören zur Infrastruktur – sprich: Raumausstattung. Ein bisschen fühlt man sich an ein Labor erinnert, mit übereinandergestapelten Geräten; vollgestopft, aber nicht überfüllt, im Uhrzeigersinn vom ersten Telefon bis zu einem frühen Apple-Rechner. Vieles von dem, was verkabelt über mehrere Tische verteilt ist, findet mittlerweile in einem Smartphone Platz. Wer nach dem Jahr 2000 geboren ist, kennt diese Welt, die sich mit funktionsfähigen Artefakten vom Wählscheibentelefon über Röhrenempfänger, Fernseher und Videorekorder bis zu ersten Videogames und Homecomputern im ganzen Raum ausbreitet, bestenfalls aus «­alten» Filmen. Tatsächlich gab es einmal ­Bibliotheken, das Vierteltelefon am Vorzimmeraltar sowie Bundeshymne und Testbild bei Sendeschluss im schwarz-weißen Staatsfunk. Das World Wide Web gibt es seit Anfang der 1990er-Jahre, das Internet an sich schon seit den 1960ern, die eigentliche Explosion ereignete sich aber kurz nach einer ­Implosion: dem Dotcom-Crash in den 2000er-Jahren, bei dem eine ­erste spekulative Inter­netblase einstürzte und vielen digi­talen Überfliegern die sprichwörtlichen Wadln nach vorne ­richtete. Danach regnete es die Digitalisierung – und die analoge Welt davor sei eine, die für viele Schüler:innen in weiten Teilen Neuland darstelle, sagt Bernhard ­Schleser – auch wenn es sich um die Bausteine handelt, aus denen die aktuellen Technik- und Lebenswelten entwickelt wurden.

Lange Nacht der Elektronik.

Die Idee zum Elektronikmuseum wurde im Jahr 2004 auf Initiative des mittlerweile pensionierten Lehrers Gottfried ­Maurer ­geboren. «Für die Ausstellung 50 ­Jahre Donaustadt im Bezirksmuseum ­haben wir uns von einem Kollegen ein ­altes Radio und ein Telefon ausgeborgt», ­erinnert sich Christian Dombacher, der gemeinsam mit seinem Lehrerkollegen ­Bernhard Schleser organisatorischer Mittelpunkt des Museums ist. «Der Kollege zeigte uns seine Sammlung an alten Elektronikgeräten und hatte die Idee, sie auszubauen.» Im Jahr 2009 wurde dem Team dann von der Schule ein Kellerraum für ihre Raritäten zur Verfügung gestellt. «Wir haben kein Budget, daher haben wir versucht uns einzurichten, so gut es geht. Alles, was man hier sieht, ist sozusagen aus Schulbeständen recycelt.» Im Jahr 2013 wünschte sich Museumsgründer Maurer als Pensionsgeschenk die Teilnahme an der Langen Nacht der Museen. Man bewarb sich mit einem Zittern im Bauch und wurde vom ORF für würdig befunden. «Das war sozusagen der Startschuss. Seit damals sind wir ­immer bei der Langen Nacht der Museen dabei, abgesehen von den Corona-Jahren.» Für Schüler:innen – auch von Partnerschulen – werden Museumsbesuche in den Unterricht eingebaut. Einzelbesuche außerhalb von Veranstaltungen sind eher schwer, «weil wir nicht nach Belieben aus dem Unterricht wegkönnen», sagt Dombacher. Unterstützt wird das Team von «externen und pensionierten Kollegen, außerdem gibt es noch eine Reihe mitlaufender Veranstaltungen, wie etwa den Computerstammtisch. ­Kollege Schleser gibt mit dem Radioboten außerdem ein Magazin für Radiointeressierte heraus.» Es sind also Enthusiasten, die mit glänzenden Augen das «Warehouse 13» der Elektronikbranche verwalten. Für andere wiederum sind die Artefakte aus dem 20. Jahrhundert nicht viel mehr als schwerer Vintage-Schrott. Wer braucht einen Röhrenfernseher im Nussholzschränkchen, der fast einen halben Meter tief ist und 50 Kilo schwer?

Auch ohne Strom.

Im Elektronikmu­seum kann man einen Kreis durch die Jahrzehnte ziehen. «Telefone werden sofort erkannt, da gibt es offenbar die größte Bindung», sagt Schleser. Die frühe Vermittlungstechnik mit Klappenschränken, bei denen mit Kabeln Verbindungen gestöpselt wurden, sieht man wirklich nur mehr in alten Filmen: Jedes Telefonat wurde tatsächlich per Hand vermittelt. Die mittlerweile von der ­gemeinen Durchwahl weitgehend verdrängte ­Klappe kommt aus dieser Zeit. In den 1950er-Jahren kamen erste Wählscheibentelefone, bei denen Verbindungen mittels Stromimpulsen über ein Vermittlungssystem automatisiert hergestellt wurden – der Klappenschrank wurde quasi durch eine Kombination aus Elektronik und Mechanik ersetzt. Ein funktionierendes System der Firma Kapsch, das von einem Mitarbeiter vor der Entsorgung gerettet wurde, steht gleich links neben dem Museumseingang. ­Danach geht es weiter zu Röhrenradios, Transistorradios, Fernsehern, Video­rekordern und ersten Computern wie dem ­Sinclair ZX81 oder dem Commodore C64. Alle Exponate sollen «ein Gefühl dafür vermitteln, worauf die heutige Technik aufbaut», sagt Christian Dombacher: «Denn diese Geräte waren nachhaltig. Sie konnten repariert werden.» ­Eines der ­Geräte funktioniert sogar vollkommen ohne Strom und ist trotzdem laut: Zwischen zwei Tonbandmaschinen steht ein ­alter Grammophon-Koffer. ­Aufgeklappt ­befindet sich im Deckel ein Lautsprecher, der Plattenteller wird mit einer Handkurbel aufgezogen, im Tonarm steckt ein dünner Stahlstift, der die Platte ­abnimmt. Darauf können alte Schellack-Platten mit 78 Umdrehungen pro Minute abgespielt werden; für handelsübliche Vinyl-Schallplatten wäre das ­allerdings tödlich.
Ältere Besucher:innen, die sich noch an das so genannte Schichtarbeiter-Programm im ORF erinnern oder wer auf einem 100-Schilling-Schein abgebildet war, werden den Rundkurs im Elektronikmuseum der HTL Donaustadt mit einem Schmunzeln absolvieren. Für alle anderen mag es ein Blick hinter die ­Kulissen einer unüberschaubar gewordenen Digitalwelt sein, der sie vielleicht zum Nachdenken über Sein und Schein anregt.

Die HTL Donaustadt bietet Ausbildungen in den Fachrichtungen Elektrotechnik, Elektronik und Technische Informatik, ­Informationstechnologie und schließlich Informatik. Das Elek­tronikmuseum im Keller wird privat in den Räumlichkeiten der Schule ­betrieben. Zwar nicht Teil des Muse­ums, aber im Umfeld ist auch ein selbstentwickelter A320-Flugsimulator zu besichtigen.

www.htl-donaustadt.at/unsere-htl/elektronikmuseum