Zurückgehen ist ein furchtbares WortArtistin

Musikarbeiter unterwegs … zwischen Wien und London, 2017 und 1997

«Über uns» heißt das neue Album von Robert Rotifer, erstmals deutschsprachig.  Ein weiterer Höhepunkt einer substanziellen Diskographie. Von Rainer Krispel (Text) und ­Mario Lang (Foto)

Sommer 2017, ich werde mich mit großer Freude an ein Konzert erinnern, eines von Robert Rotifer, solo im Theater Spittelberg. Gitarre, Stimme, bis zu den Zugaben die Lieder von «Über uns». Ernst Molden, der mit seinem Agenten Charlie Bader das Label betreibt, auf dem das Album mittlerweile erschienen ist, hatte es mir beim Popfest gegeben. Ich war schon ein wenig verliebt, nein, sehr, in diese Lieder, vom eröffnenden «Die Fehler» bis zum abschließenden «Nur Verrückte». Im Konzert kamen sie mir noch einmal näher, von Robert pointiert moderiert, zu einer Erzählung geformt, Texte und Musik ein Ganzes. Lieder, die viel Seltsames, Erschütterndes und Beängstigendes offen thematisieren, das leider zum Sommer 2017 gehört. Lieder voll akutem, ausformuliertem Zeit- und Lebensgefühl. Von einem ganz spezifischen persönlichen Blickwinkel aus geschrieben, diesen künstlerisch reflektierend und breiter fassend in einer ganz klaren, ihnen in dieser Form eigenen Sprache, textlich und musikalisch. Aus ihrer Klarheit schöpfen die Lieder Schönheit, die über das hinaus- und hindurchzeigt, was sie unsentimental thematisieren – eines heißt «Wir haben verloren». Sie zeigen, ohne Pathos, ohne «Das wird schon», gerade deswegen dorthin – die andere Welt, die wir wollen, die ­Robert Rotifer will, ist noch da, immer noch möglich. Wenn wir endlich stärker auf sie schauen.

Wir pirschen uns an.

Auf dem Fußweg in den Garten von Fotoarbeiter Lang erzählt Robert, der seit gut 21 Jahren in England lebt, heute in Canterbury, vom NHS, dem britischen Gesundheitssystem. Gibt anekdotisch Einblick, wie es sich auswirkt, wenn wohlgesinnte Konservative etwas kaputtsparen. Wie Menschen, die das Service des NHS brauchen, daran scheitern, ebenso wie die Menschen, die in ihm arbeiten. Das passt zu einer Geschichte, die der 1969 in Wien geborene Rotifer später beim wunderbar mäandernden Gespräch – Brexit, Britpop, Blair und Musik, Musik, Musik – streift. Ein Bed & Breakfast in London. Dessen Besitzer weist die weibliche Hilfskraft zurecht, die sich beschwert, dass sie 7 Tage die Woche arbeiten muss. «Wir haben eine konservative Regierung».

Robert Rotifer, als kenntnisreicher und haltungssicherer Print- und Radio-Journalist ebenso geschätzt wie als Musiker, zeichnet seine Biographie nach. Ausgehend von den Beatles, denen es gelang, «in meinem Kopf eine Traumvision von England herzustellen», spielte England immer eine Rolle, wurde der Wunsch, «diese Orte zu sehen, diesen Zebrastreifen» schließlich Realität. Machbar in dem kleinen Zeitfenster, in dem Wien teurer als London war, ab dem 1. Jänner 1997, gelebt in Kentish Town, Nordwest London.

Was mache ich jetzt?

In England findet sich der Musiker Robert Rotifer wieder, der in Wien seine Band Electric Eels aufgelöst hatte. Kurz danach führte die Spur einer ersten Solo-Doppelsingle, realisiert mit den Sofa Surfers, zu nichts. Weil die 2002, drei Jahre nach seinem Sohn, geborene Tochter das Schrammeln der Gitarre nicht mag, arbeitet er am Fingerpicking und erlebt schließlich, dass auf die (pop-)literarischen Lyrics seiner Songs ein muttersprachliches Publikum unmittelbar und positiv reagiert. Veröffentlicht bis zu «Not Your Door» (2016) eine Serie gehaltvoller englischsprachiger Alben. In Wien wünscht sich Freund und Kollege Ernst Molden ein deutschsprachiges Album, nur mit Gitarre und Stimme. Während Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus mit dem Brexit kulminieren, entstehen die Lieder von «Über uns». Robert Rotifer findet zur tiefen Stimmlage, zum Refrain-Verzicht, einer Form, dem Chanson wahlverwandt. «Ich habe etwas hingeschrieben, von dem ich selber nicht gewusst habe, dass ich es sagen muss. Etwas gelernt darüber, was ich mir denk’, speziell bei ‹Der Knoten›. Wie dieses Klischee, an das ich nicht glaube, dass du am Intellekt vorbei, aus dir selbst heraus schreibst.» Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs steht ein Konzert in Joshua Tree, USA, eingeladen von der Band Son Of The Velvet Rat, noch bevor. Was spielen? «Das Lied ‹Mein eigenes Mexiko› gibt es auf Englisch als ‹All the Flags›.» Das Lied verbindet eine Aussage von Theresa May, die meinte, ein_e Weltbürger_in sei ein «citizen of nowhere», und ein Interview Roberts mit Ian McLagan, dem 2014 verstorbenen Keyboarder der Small Faces und Faces. «Er sagte, er ist Ire, Brite und Amerikaner, und wenn er einen Raum betritt, sollen alle Fahnen wehen.» Wo Roberts Leben neben der Musik weiter seinen Mittelpunkt haben wird, steht mit dem Brexit zumindest zur Diskussion. «Ich habe fast keine sentimentale Bindung mehr zu England, kommt mir vor. Die Kinder sind keine Kinder mehr, sondern jugendliche Erwachsene. Sie sind dort verwurzelt, es ist deren Heimat, damit ist es auch meine Heimat.»

 

Robert Rotifer: «Über uns»

(Bader Molden Recordings)

www.robertrotifer.co.uk

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