«Zuschauen ist strafbar!»tun & lassen

Einmal mehr über Amts- und Misshandlungen

Über eine fragwürdige Amtshandlung gegenüber einem Bettler und über den Versuch der Polizei, die Beobachtung der Amtshandlung zu verhindern, berichtete der Augustin in Ausgabe Nr. 381. Unsere Leserin Evelyn Ram motivierte dieses couragierte Augenzeugenprotokoll, der Öffentlichkeit ein eigenes Erlebnis mitzuteilen. Im Stil ähnelten sich die behördlichen Operationen – nur geht es diesmal nicht um einen Bettler.

Es ist ein Tag vor Silvester und unser 21. Hochzeitstag. Mein Mann, indischer Staatsbürger, Jurist, und ich, gebürtige Kärntnerin, AHS-Lehrerin, beschließen einen ausgedehnten Spaziergang. Es ist Nachmittag, die Sonne scheint noch. Als wir in der U6-Station Neue Donau aussteigen und die Stiege hinuntergehen, sehen wir vier Polizisten und eine Polizistin, die einen gut gekleideten, gepflegt wirkenden Schwarzafrikaner von kleiner und zarter Statur eingekreist haben, ihn herumstoßen, an seiner Kleidung zerren, ihm den Mund aufreißen und dergleichen Bedrohliches. Wir bleiben stehen und schauen aus ca. 15 bis 20 Metern Entfernung zu.

Kurz darauf kommen die Polizistin und ein Polizist zu uns und fordern uns auf wegzugehen. Wir bleiben stehen, woraufhin sie uns gereizt anschnauzen: «Warum glotzen Sie? – Es ist eine strafbare Handlung, bei einer Amtshandlung zuzuschauen. Zeigen Sie Ihre Ausweise!» Ich zeige meine Bankomatkarte und meine E-Card, die ein Polizist an sich nimmt. Mein Mann hat nur seinen Fahrschein mit. «Als nicht österreichischer Staatsbürger muss man einen Ausweis mitführen, es ist eine strafbare Handlung, wenn Sie ohne Ausweis unterwegs sind.» Daraufhin muss mein Mann Name und Geburtsdatum angeben, und es wird per Funk überprüft, ob er gemeldet ist. Angeblich ist er dies nicht. Auch die anderen Polizisten sind inzwischen zu unserer Gruppe gestoßen, und der Afrikaner ist verschwunden. Auf die Frage, warum wir so glotzen, antworte ich: «Ich muss an Omofuma denken.» Ein Polizist kontert: «Mir wurde vor ein paar Monaten von so einem schwarzen Drogendealer das Nasenbein gebrochen!» Darauf ich: «Aber warum gehen Sie zu fünft auf diesen kleinen, schwachen Schwarzen los?» «Der darf gar nicht in Wien sein, der hat nur für Baden eine Genehmigung.»

Mein Mann sollte nun mit auf die Polizeiwache, weil er sich nicht ausweisen konnte. Selbstverständlich will ich ihn dorthin begleiten, obwohl ich mir unseren 21. Hochzeitstag anders vorgestellt habe. «Sie kommen nicht mit, Sie halte ich überhaupt nicht aus!», meint der Polizist mit dem Nasenbeinbruch. Ein anderer, der immer abseits gestanden ist und eigentlich sehr nett ausschaut, winkt mich zu sich und beschwichtigt: «Meine Mutter ist auch AHS-Lehrerin. Zivilcourage ist super, aber nicht so!» Die negative Spannung lässt etwas nach. Von Polizeistation ist jetzt nicht mehr die Rede. Wir verabschieden uns und wünschen einander ein gutes neues Jahr. Die Sonne ist inzwischen untergegangen. Es dauert eine Weile, bis wir uns wieder einigermaßen beruhigt haben.

Wie wäre es wohl meinem Mann ergangen, wäre ich nicht dabei gewesen? Wo hat da die Ausbildung versagt, dass Beamte sich zu einer Misshandlung hinreißen lassen? Kann eine Misshandlung eine Amtshandlung sein? Und darf man da auch im öffentlichen Raum wirklich nicht zuschauen? Wir haben die Amtshandlung ja nicht behindert durch unser Hinschauen, oder doch? Was war da eigentlich mit dem Schwarzen? Warum wurde er laufen gelassen, wenn etwas gegen ihn vorliegt? Und wenn nichts gegen ihn vorliegt, warum wurde er so behandelt? Aber auch wenn etwas gegen ihn vorliegt, darf er doch auch nicht so behandelt werden!!??