Feministisches Serien-Binge-Watching
Von Sci-Fi bis zur durchgeknallten Comedy: Wer sich beim TV-Konsum ein vielseitigeres Frauen- und Menschenbild wünscht, kann derzeit bei amerikanischen und englischen Serien aus dem Vollen schöpfen. #metoo verifizierte alle Vorurteile, die es über Studiomachenschaften gab und bestätigt: Die Zeit für feministisches Fernsehen ist
gekommen. Julia Pühringer (Text) freut sich.
Foto: netflix (Michaela Coel als witzige Verkäuferin in «Chewing Gum». Sie spielt nicht nur die Hauptrolle, sondern schrieb die Serie auch.)
Sind Frauen wirklich so? Als «Sex and the City» um die Jahrtausendwende zum Welterfolg wurde, schien das noch eine relevante Fragestellung. Inzwischen sind Frauen in TV-Serien viel mehr: Mörderinnen, Rechtsanwältinnen, politische Aktivistinnen, deprimierte Slackerinnen, Entführungsopfer am Selbstfindungstrip, Comedy-Stars, Liebhaberinnen, krebskrank, Galeristinnen, Politikerinnen. Sie treffen richtige und falsche Entscheidungen, feiern Erfolge und verbocken fast alles. Sie vögeln rum, oder auch nicht, sie lieben glücklich, unglücklich, erfolgreich oder patschert.
All das ist nicht nur weltanschaulich, sondern auch geschäftlich profitabel: Mehr Diversität vor und hinter der Kamera spricht ein breiteres Publikum an; weibliche Figuren sind hundertmal interessanter, wenn sie auch von Frauen geschrieben werden; und – Überraschung – Frauen stellen die Hälfte des TV-Publikums. Nicht umsonst warb Netflix die Seriengöttin Shonda Rhimes, die mit ihrer Produktionsfirma Shondaland für Erfolge wie «Grey’s Anatomy», «Scandal» und «How to Get Away with Murder» verantwortlich ist, nun um teures Geld ab.
Neuentdeckungen.
On-Demand-Dienste wie Amazon, Netflix und Sky sind der Grund, dass Produktionen von Filmemacherinnen, Drehbuchautorinnen und Produzentinnen, die nicht ausschließlich weiße Menschen sind, auch in Österreich verfügbar. Viele tolle Neuentdeckungen und Erfolgsserien sind inzwischen weiblich und nehmen oft gleich alles selbst in die Hand – Produzieren, Schreiben und Schauspielen in einer Person. Ilana Glazer und Abbi Jacobson begannen «Broad City», wo es um zwei Kifferinnen auf Sinn- und Jobsuche geht, als Webserie und spielten auch gleich die Hauptrollen. Inzwischen ist die Serie auf dem Sender Comedy Central zu sehen. Die junge britische schwarze Autorin Michaela Coel machte ihr preisgekröntes Theaterstück «Chewing Gum Dreams» als Hauptdarstellerin und Autorin zum aberwitzigen Serienhit «Chewing Gum». Sie gibt darin eine so liebenswerte wie notorisch schwindelnde Verkäuferin und Tochter einer erzkonservativen Predigerin, die auf die abwegigsten Arten versucht, endlich, endlich Sex zu haben.
«Fleabag», die Geschichte einer leicht lebens- und liebensunfähigen Frau, begann ebenfalls als Theaterstück: Phoebe Waller-Bridge übernahm in der eigenen Serienadaption Drehbuch und Hauptrolle. Frankie Shaw wiederum adaptierte ihren eigenen Kurzfilm «SMILF» (kurz für «Single Mother I’d Like to Fuck») als Comedy-Serie über eine junge alleinerziehende Frau, die es babybedingt schwer hat, Liebhaber zu finden. Und Issa Rae machte aus ihrer eigenen Webserie «Awkward Black Girl» die Kultserie «Insecure».
(Anti)Sexismus als Programm.
Andere Serien werden gleich direkt von On-Demand-Diensten finanziert. So geschehen mit «Good Girls Revolt», die Fiktionalisierung der Geschichte um Mitarbeiterinnen des Magazins «Newsweek», die dieses 1970 wegen Diskriminierung klagten. Der Inhalt jedenfalls ist nicht Fiktion, genauso wenig wie der Inhalt der #metoo-Debatte.
Die dadurch aufgeflogene Fälle bestätigten, was viele schon lange als Verdacht hegten: Serien mit «weiblichen» Inhalten wurden von Senderchefs abgesägt, die damit nichts anfangen konnten. Der wegen sexueller Belästigung gefeuerte Amazon-Chef Roy Price war es, der «Good Girl’s Revolt» nicht verlängern wollte, obwohl Kritiken und Quoten gut waren. Preise kriegte die Serie dann doch. Price war es auch, der «Big Little Lies« (neun Primetime Emmys!) nicht zu Amazon holte, weil ihm nicht genug Nacktszenen drin waren. Die Fälle bestätigen, dass derart sexistische Praktiken auch schlicht geschäftsschädigend sein können.
Dass solche Produktionsentscheidungen nicht die Rollen zeitigten, die sich Schauspielerinnen wünschen, war übrigens genau der Grund für die Entstehung von «Big Little Lies»: Die Hauptdarstellerinnen Reese Witherspoon und Nicole Kidman produzierten die Serienadaption des Roman-Bestsellers kurzerhand selbst. Das Publikum war begeistert. Denn das sieht im Gegensatz zu so manchem Produzenten und Senderchef auch gern Frauen über 40 in guten Rollen. Was auch «Grace and Frankie» beweist, die Serie, die Jane Fonda und Lily Tomlin in hohem Alter noch zu Comedy-Ruhm verhalf.
Neue Zahlen.
Noch sprechen die tatsächlichen US-Zahlen des «Center for the Study of Women in Television & Film» eine andere Sprache: 68 % des Primetime-Programms zeigen immer noch mehr männliche als weibliche Darsteller_innen. Dafür wird Diversität langsam eine messbare Größe: 19 % der gesamten weiblichen Sprechrollen sind schwarz, im Fernsehen sind es sogar 21 %. Asiatinnen machen 6 % aus, Latinas 5 %. Das große Manko besteht jedoch hinter der Kamera, wo seit zehn Jahren unverändert ein Frauenanteil von 28 % herrscht. Es ist bezeichnend, dass dieser Anteil rapide steigt, sobald auch nur eine einzige Serienmacherin mit an Bord ist – und zwar auf 57 %. Programme mit ausschließlich männlichen Serienmachern haben auch nur einen Autorinnenanteil von 21 %. Dabei sind TV-Serien mit ihrem großen Personalbedarf bei Regie und Drehbuch oft der Start für einen Lebenslauf im «richtigen» Filmbusiness. Die schwarze Filmemacherin Ava DuVernay («Selma») setzte den radikalen Schritt und stellte für ihre von Oprah Winfrey produzierte Dramaserie «Queen Sugar» ausschließlich Regisseurinnen ein.
Fiktion?
«Wenn Frauenrechte von einer drakonischen männlichen Regierung auseinandergenommen werden, ist es beruhigend, fiktiven Frauen dabei zuzuschauen, wie sie ihre Unterdrücker zu Brei schlagen», schrieb die Journalistin Jill Gutowitz über stinksaure Frauen in TV und Film. Zumindest diesbezüglich brechen gute Zeiten an.
Wer Serien und Filme von Regisseurinnen anschaut und verschenkt, sorgt nicht nur für Quoten, sondern mitunter auch für Bildung. Denn nur Produktionen von Männern zu sehen, heißt, die Hälfte der erzählten Welt versäumen. Es gilt: Wer einmal mit Serien begonnen hat, die sich unsexistisch und unrassistisch mit Charakteren beschäftigen, für die und den führt kein Weg mehr zurück in Serien, die wie ein heterosexuelles, weißes «all male panel» wirken.
Watch List:
«Glow»: Wrestlerinnen in den 1980ern, die sich, ähm, zusammenraufen müssen. Von Liz Flahive und Carly Mensch.
«I Love Dick!». Serie gewordener Aberwitz von Jill Soloway nach dem Roman von Chris Kraus. Unerfüllte Lieben schreiben die besten Geschichten.
«The Good Wife»: Die Anwaltsserie to end all Anwaltsserien von Michelle und Robert King.
«Scandal»: Komplett überdrübere Polit-Beratungsserie. Sehr böse, gelegentlich blutig. Von Shonda Rhimes, mit Kerry Washington.
«Catastrophe»: Vom One-Week-Stand diretissima in die Ehe mit Kind: Herrlich komische und ehrliche Beziehungs-Komödie von Sharon Horgan und Rob Delaney.
«She’s Gotta Have It»: Spike Lees Kultfilm aus den 1980er Jahren ist nun zur sex-positiven Serie geworden. Die Liebeswirren einer jungen schwarzen Künstlerin schrieben diesmal zu einem Großteil Autorinnen.
«The Marvelous Mrs. Maisel»: Neue Serie von Gilmore-Girls-Erfinderin Amy Sherman-Palladino um eine Frau, die es in den 1960er Jahren mit Stand-up-Comedy versucht.
«Top of the Lake»: Geniale Thrillerserie von Großmeisterin Jane Campion, bis dato zwei Staffeln mit zwei unterschiedlichen Stories.
«One Mississippi»: Tig Nataros semiautobiografische Comedyserie über den Tod der Mutter, die Krebsdiagnose und eine gescheiterte Beziehung. Ja, das geht!
«The Handmaid’s Tale»: Sci-Fi-Serie nach dem dystopischen Roman von Margaret Atwood mit Elisabeth Moss. Passt in die Jetztzeit wie die Faust aufs Auge.
«Fresh Off the Boat»: Comedyserie von Nahnatchka Khan über eine taiwanesische Familie, die in Florida ein Steakhouse mit Cowboy-Aufmachung betreibt. Mit Constance Wu.
«Lady Dynamite»: Eine Stand-up-Comedienne muss nach Klinikaufenhalten ihr Leben in den Griff kriegen. Von Maria Bamford.
«Sense8»: Die Schwestern Lana und Lilly Wachowski schufen eine irrsinnige Sci-Fi-Serie um acht Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kontinenten, die im Kopf miteinander kommunizieren können. Spannend und auch ziemlich scharf.