Zutaten für KindheitsglückArtistin

Im Gespräch mit dem Filmemacher Adrian Goiginger

Helga ist die Mutter von Adrian, und Helga ist heroinsüchtig. Die Sucht ist hartnäckig und das Jugendamt auch. In «Die beste aller Welten» erzählt der Filmemacher Adrian Goiginger von seiner Kindheit am Salzburger Stadtrand. Lisa Bolyos hat mit ihm über frühes Glück, Abhängigkeiten und die Arbeit am Set gesprochen.

Sibylle Berg hat im «Spiegel» eine Persiflage auf Interviews geschrieben, die mit Frauen geführt werden. Darin gehe es seltener um ihr Werk, als um ihr Aussehen und ihren Kinderwunsch. Gibt es vergleichbar blöde Fragen, die dir als jungem Filmschaffenden gestellt werden?

Nein. Am ehesten werde ich so wie von dir jetzt gefragt, ob es ein Problem ist, dass ich so jung bin. Als ich angefangen habe, Filme zu machen, war ich auch erst zwanzig, aber inzwischen mach ich das schon ein paar Jahre und wirke, glaube ich, gar nicht mehr komplett unerfahren.

In «Die beste aller Welten» hat man den Eindruck, da blickt jemand zuversichtlich und selbstbewusst auf seine Kindheit zurück. Was macht Glück in der Kindheit aus?

Ich glaube das Einzige, was Glück in der Kindheit wirklich garantiert, sind Liebe und Zuneigung von den Eltern oder den ersten Bezugspersonen. Wenn das da ist, ist alles andere Draufgabe. Umgekehrt, wenn du in Wohlstand lebst, aber keine Eltern hast, die für dich da sind, ist es auch Scheiße. Ich hatte Leute, die mich geliebt und sich Zeit für mich genommen haben; deshalb waren die Drogensucht und die Existenzarmut, durch die wir gegangen sind, für mich als Kind nur Randerscheinungen.

Konntest du mit deiner Mutter die Zeit deiner Kindheit noch reflektieren?

Sie ist 1999 clean geworden, das war fünfzehn Jahre vor ihrem Tod. Wir haben immer wieder darüber gesprochen, aus Interesse, nicht weil ich etwas aufzuarbeiten gehabt hätte. Auch der Film ist keine Selbsttherapie.

Was ist der Film für dich?

Eine Hommage an meine Mutter. Weil ich es schon als Heldenakt empfinde, dass sie mir trotz ihrer Sucht so eine schöne Kindheit ermöglicht hat. Heroinsucht ist ja nichts, wo man daneben noch einen Alltag hat; Heroin ist der Alltag. Und trotzdem konnte sie mir ein durchgängiges Gefühl von Geliebtsein geben.

Herr Hütter vom Jugendamt ist in deinem Film eine Figur, vor der man ein bisschen Angst hat und in die man zugleich Hoffnung steckt. Hast du die damaligen Verantwortlichen im Jugendamt für deine Recherche getroffen?

Das waren ein Mann und eine Frau. Ich habe sie gefragt, warum meiner Mutter das Sorgerecht nicht entzogen wurde. Sie haben gemeint, in der damaligen Zeit hat es viele Kinder gegeben, die bei ihren drogenabhängigen Eltern geblieben sind. Sie haben gemerkt, dass meine Mutter sehr gut auf mich aufpasst. Und witzigerweise sind die schlimmen Sachen, die passiert sind – zum Beispiel, dass «der Grieche» in unserer Wohnung an einer Überdosis gestorben ist – durch einen behördlichen Fehler der Polizei nie ans Jugendamt weitergeleitet worden. Im Nachhinein gesehen ein Glück.

War die Angst, abgenommen zu werden, für dich als Kind ein Thema?

Nein, ich hab das gar nicht mitgekriegt.

Die Pflegekinderdebatte ist zwar progressiver geworden, aber was nun tatsächlich das «Kindeswohl» ist, bleibt umkämpft.

Ich glaube, einerseits musste in den 90er Jahren mehr passieren als heute, damit Kinder weggenommen werden. Wenn ein Kind geraucht hat, war das zum Beispiel nicht so tragisch. Dafür wurde beim Wegnehmen viel härter vorgegangen; diese Szenen, wo sich Kinder am Türrahmen festhalten und der Mensch vom Jugendamt an ihren Beinen zieht, gibt es heute nicht mehr.


In deinem Film zeigst du, dass den Eltern, nur weil sie drogenabhängig sind, das Kind natürlich überhaupt nicht egal ist. Was würde Kindern und Eltern in so einer Situation helfen?

Wenn ich mir die Erfahrung anderer Kinder anschaue, hat es schon viele gegeben, für die es vielleicht gut gewesen wäre, von den Eltern wegzukommen. Auf der anderen Seite ist es allen Kindern, die ich kenne, die ins Heim gekommen sind, dort richtig schlecht gegangen. Wahrscheinlich wäre mehr Unterstützung für die Familien gut, und zwar nicht finanzielle, weil Geld sofort in Drogen gesteckt wird. Als ich etwa sechs war, hat das Sozialamt meine Mutter und mich für drei Tage auf eine Berghütte in Osttirol auf Urlaub geschickt: raus aus diesem Drogenloch, Zeit mit der Mutter, und die wiederum muss sich um nichts kümmern. Das war genau, was wir gebraucht haben.

In einer Szene holen Eltern eine Freundin von deiner Geburtstagsparty ab und fremdeln massiv mit der Lebensrealität deiner Mutter. Was haben «die anderen» zu deiner familiären Situation gesagt?

Ganz viele meiner Freunde waren im gleichen Milieu. Aber es gab schon auch Kinder aus der Mittelschicht – wobei Mittelschicht für uns bedeutet hat, einen Job und ein Auto zu haben. Mit denen gab es immer wieder befremdliche Situationen; ein Bub durfte zum Beispiel nicht mit mir spielen, weil die Eltern Angst hatten, dass ihr Kind irgendwo reingezogen wird. Und ich kann das auch verstehen, weil die Nicht-Drogensüchtigen null Interesse haben, sich mit Drogensüchtigen auseinanderzusetzen. Absolut null. Die werden abgestempelt als ekelhafte Menschen, die ihr Leben verbockt haben. Jeglicher Versuch, empathisch zu sein, fehlt komplett.

Hätte deine Mutter sich gewünscht, dass mal wer nachfragt?

Nein, sie hat immer versucht, die Fassade aufrechtzuerhalten. Sie hat ihre Heroinsucht die ganzen Jahre vor ihren eigenen Eltern geheim gehalten. Die haben das erst im Nachhinein erfahren. Sie war da echt gut drin.

Womit bist du in deinem Film am zufriedensten?

Eigentlich mit der Beziehung zwischen Verena Altenberger (Helga) und Jeremy Miliker (Adrian). Wir haben ein halbes Jahr geprobt, damit es am ersten Drehtag so wirkt, als wären sie wirklich Sohn und Mutter. Und ich finde, das funktioniert.

Wie finanziert man ein halbes Jahr Proben?

Das haben sie gratis gemacht. Es ist ein Unding in europäischen und österreichischen Produktionen, dass die Schauspieler denken, sie müssen nicht proben, oder, es gibt zwei Probentage und die müssen bezahlt sein. Die proben ja für sich!

Man muss es sich leisten können, unbezahlt zu arbeiten.

Die Schauspieler haben bei uns gute Gagen bekommen. In Amerika ist das ganz normal, da weißt du, dass zwanzig, dreißig unbezahlte Probentage in deinem Vertrag inklusive sind.


Woran arbeitest du als Nächstes?

Ich schreibe an einer Geschichte meines Urgroßvaters. Der war im Zweiten Weltkrieg und hat abseits vom Kriegsgeschehen ganz berührende und persönlich dramatische Sachen erlebt, ich will also quasi einen Kriegsfilm machen, der nichts mit dem Krieg zu tun hat.

Du lebst immer noch in Salzburg. Wie hat sich die Drogenszene verändert?

Es gibt keinen Junkie weniger als früher. Aber man geht halt nicht mehr zum Dealer am Bahnhof, sondern in die Apotheken, um Substitute zu holen. Man bekommt Heroin in Tablettenform und soll es oral einnehmen. Machen die Leute natürlich nicht. Die nehmen die Tabletten in den Mund, spucken sie vor der Apotheke aus, kochen sie zu Hause auf und spritzen sie, um den Kick zu kriegen. Und der Staat nimmt halt die Steuern ein.

Aber außer dem Eck, wo die Leute warten, dass die Apotheke aufsperrt, ist die Szene nach wie vor eher am Stadtrand. Klar gibt’s ein paar Hotspots in der Stadt, aber das meiste spielt sich in den eigenen vier Wänden in den Sozialbauten ab. Liefering, das Viertel, in dem der Film spielt, ist immer noch gleich verschrien, und die Stadt tut alles, um das Drogenproblem am Rand zu halten. Das wäre, glaub ich, der einzige Grund für die Stadt, wirklich aktiv zu werden: wenn die Drogenszene das Bild der schönen Salzburger Altstadt stört.

 

Eine Liebeserklärung an Eltern

Die beste aller Welten


Ganz zum Schluss macht das Herz einen Sprung: Wenn der kleine Hauptdarsteller in Anblick seiner Mutter mit diesem plötzlichen Tempo 100 zu laufen beginnt, das nur sehnsüchtige Kinder an den Tag legen.

Salzburg in den 90er Jahren. Adrian (Jeremy Miliker) ist sieben, er spielt gern Fußball, will Abenteurer werden, raucht heimlich. Adrian wächst bei Helga (Verena Altenberger) und Günter (Lukas Miko) auf; wobei Günter Gründe hat, nichts mit den Behörden zu tun haben zu wollen, und das gibt früher oder später Stress. Und Michael (Michael Pink), genannt «der Grieche», ist öfter zu Besuch, der hat nämlich immer den besten Stoff. Helga verschwindet manchmal kurzzeitig in ihrer Drogenabhängigkeit: «Ich komm gleich, Mausi», ruft sie durch die versperrte Küchentür, hinter der harte Drogen konsumiert werden – für Adrian Sperrgebiet. Wenn die Entzugserscheinungen sie quälen, macht Adrian ihr Kopfwickel, «Bist du krank?», und dann die Diagnose, mit Kinderweisheit erstellt: «Du hast keine Temperatur.»

Helga ist die bestmögliche Mutter in ihrem herben Leben, das ist es, was der autobiografische Film von Adrian Goiginger erzählt. Helga kocht Kinderpunsch, spielt DKT und dichtet Zaubersprüche gegen Alpträume. Sie campt am Fluss und gibt sich ein Stelldichein bei der Direktorin, wenn Adrian Schweizerkracher am Schulhof explodieren lässt. Aber nicht nur die Drogenabhängigkeit bedroht ihren Frieden, sondern auch das Jugendamt: «Die nehmen mir den Adrian weg», ist der ständige furchtbesetzte Begleiter – bei der Vorladung in die Schule, beim Hausbesuch des Jugendamtsbeamten Hütter (Michael Fuith), und dann erst recht, als «der Grieche» sich eine Überdosis setzt.

Liebevoller kann das Porträt einer Elternschaft kaum sein. Man soll ja nicht so didaktisch daherreden, aber: Für alle, die mit Jugendamt und Kindesabnahme zu tun haben, ist «Die beste aller Welten» Pflichtkino. Nicht, weil Goiginger irgendeine Seite verurteilen würde; sondern weil er ganz sachte Verständnis für alle herstellt – und eine Idee davon gibt, wie es gemeinsam funktionieren könnte.

diebesteallerwelten.at

Kinostart: 8. September

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