Zwei Arten zu erinnerntun & lassen

Nachruf auf die Spanienkämpfer Gert Hoffmann und Hans Landauer

Rund 1.400 Österreicher_innen machten sich Mitte der 1930er Jahre nach Spanien auf: Sie wurden Teil der Internationalen Brigaden, die die junge spanische Republik gegen den Auf-stand der faschistischen Militärs verteidigen wollten. Gert Hoffmann war mit einundzwanzig Jahren, Hans Landauer mit sechzehn dabei. Im heurigen Juli sind sie beide verstorben. Sie waren aktiv daran beteiligt, Spanien im österreichischen Gedächtnis einen Platz zu sichern. Erich Hackl schreibt in Gedenken an diese zwei letzten österreichischen Spanienkämpfer, die denselben Kampf kämpften und mit dem Erinnern doch so unterschiedlich umgingen.

Foto: Florian Reischauer

Im Juli sind mit Gert Hoffmann und Hans Landauer die zwei letzten österreichischen Spani-enkämpfer verstorben. Wie 1.400 ihrer Landsleute hatten sie sich vor beinahe 80 Jahren nach Spanien aufgemacht, um die Republik gegen die aufständischen Militärs zu verteidigen. Bei-de waren bis ins hohe Alter auch darum bemüht, die Erinnerung an den Kampf gegen den Faschismus wachzuhalten oder in der kollektiven Wahrnehmung überhaupt erst zu begrün-den. Ihre letzten Lebensjahre verbrachten sie im niederösterreichischen Industrieviertel: Hoffmann in Markt Piesting, Landauer in Oberwaltersdorf. Allerdings trennte sie mehr von-einander, als die Distanz zwischen ihren Wohn- und Sterbeorten, 18 Kilometer, vermuten lässt. Denn sie waren in Temperament, Charakter und Gesinnung so verschieden, dass sie wenig Verständnis füreinander aufbrachten.

Mein Schmerz über den Verlust – mit beiden war ich befreundet, Landauer hatte ich noch drei Tage vor seinem Ableben besuchen dürfen – ist einer diffusen Trauer gewichen, die nicht nur dem Gefühl persönlicher Verlassenheit geschuldet ist, sondern auch dem Wissen, dass nun niemand mehr da ist, der kraft seiner Zeugenschaft die Fehlschlüsse und Simplifizierungen von Historikern oder Journalistinnen zurückweisen kann. Niemand, der einem beisteht, im Vergangenen den Funken der Hoffnung zu entfachen.

Hoffmann: Der Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen

Hoffmann, Jahrgang 1917, war der Ältere der beiden, ist aber erst im Mai 1938 nach Spanien gelangt – früh genug, um bei der Ebroschlacht, deren Ausgang die Niederlage der spanischen Republik besiegelte, Kopf und Kragen zu riskieren. Anfang 1937 war er von der Schulbank weg verhaftet und als Mitglied des illegalen Kommunistischen Jugendverbandes zu fünf Jah-ren Kerker verurteilt worden. Durch die politische Amnestie kurz vor der Annexion Öster-reichs freigekommen, schlug er sich über Brünn und Paris nach Spanien durch. Er stammte aus einer sozialdemokratisch gesinnten, politisch jedoch abstinenten Wiener Anwaltsfamilie, schwor aber schon als Achtjähriger – wie er einmal schrieb – Mussolini und Seipel «unver-söhnlichen Haß». Vorbild war ihm sein fünf Jahre älterer Bruder Wolfgang, der als Jugendli-cher von zu Hause ausriss, Seemann wurde und sich im November 1936 den Internationalen Brigaden anschloss. Gerts Hoffnung, in Spanien an Wolfgangs Seite zu kämpfen, erfüllte sich nicht; erst in einem französischen Internierungscamp sollte er ihn kurz wiedersehen, auch den Vater, der dann in Gurs starb, während die Mutter im belgischen Exil von der Gestapo aufge-griffen, nach Auschwitz deportiert, dort ermordet wurde. Wie sie fiel Wolfgang, im KZ Groß-Rosen, dem deutschen Völkermord zum Opfer. Gert Hoffmann überlebte mit Glück, Mut und Verstand den Naziterror im besetzten Frankreich und kehrte 1945 nach Österreich zurück, wo er in vielerlei Berufen tätig war. Mit 68 Jahren, 1985, war er erneut als Brigadist im Einsatz, diesmal, um im sandinistischen Nicaragua Häuser zu bauen. In seinen Lebenserinnerungen bekannte er, sich nicht damit abfinden zu können, «dass es unmöglich sein soll, der Gerech-tigkeit in dieser Welt zum Durchbruch zu verhelfen». Dieses Geständnis erklärt Hoffmanns Neugier auf weitaus Jüngere, in denen er potenzielle Gefährt_innen witterte, ebenso seine Bereitschaft, deren Bedürfnis nach Zuversicht zu stillen. Erinnern hatte für ihn eine emotiona-le und eine propagandistische Funktion; emotional, insofern es ihm zu Begegnungen verhalf, propagandistisch, weil ihm weniger an historischen Einsichten als am politischen Wirken lag.

Landauer: Die Ideologie samt ihren Methoden ändern

Hans Landauer nahm diesbezüglich die Gegenposition ein. Er verbarg sein zartes Gemüt un-ter einer rauen Schale, hörte sich ungern die Kampflieder aus dem Bürgerkrieg an und mochte es nicht, wenn bei Ehrungen ehemaliger Interbrigadist_innen pathetische Reden geschwungen wurden. Nicht seine Geschichte wollte er festhalten, sondern die der anderen Spanienfreiwil-ligen, derjenigen vor allem, deren Einsatz nie gewürdigt worden war, sei es, weil dies für po-litisch nicht opportun erachtet wurde, oder weil sich niemand ihrer erinnerte. Deshalb machte er es sich vor über dreißig Jahren zur Aufgabe, die Fährten aller österreichischen Spanien-kämpfer_innen aufzuspüren und ihnen, soweit möglich, in allen Verästelungen zu folgen. Als langjähriger Kriminalbeamter brachte er dafür ideale Voraussetzungen mit. Auch deshalb, weil er Erinnerungen misstraute; seiner Meinung nach werden diese meistens «aus dem Bauch heraus» geschrieben – nach parteipolitischen Erwägungen oder um der eigenen Eitel-keit zu genügen. Für ihn galt jene Prämisse, die er in einem Artikel für eine Fachzeitschrift gesetzt hatte: «Allgemein wird die Meinung vertreten, dass der Kriminalbeamte, wenn eine Anzeige erstattet wird, sich auf die Beine macht, um den Täter zu finden. Das stimmt nicht ganz. Bevor der Kriminalist beginnt, den Täter zu suchen, muss er sich überzeugen, ob das, was geschehen ist, auch wirklich geschehen ist.»

Landauer war gerade 16 geworden, als er sich, im Mai 1937, heimlich nach Spanien aufmach-te. In Oberwaltersdorf war er im Bauernhaus der Großeltern mütterlicherseits aufgewachsen und hatte nach der Hauptschule als Blattbindergehilfe der örtlichen Weberei gearbeitet. Seine große Leitfigur war der Großvater Karl Operschall, dessen Namen er in Spanien führte. So-wohl dort als auch in den französischen Lagern, in die er nach der Niederlage der Republik gesteckt wurde, fühlte sich Landauer in der Gemeinschaft seiner Gefährten gut aufgehoben. Anders als Hoffmann fiel er in die Hände der Gestapo und wurde über Wien 1941 nach Dach-au deportiert, wo er dank der Solidarität der Spanienkämpfer überlebte. Bald nach der Befrei-ung trat er in den Polizeidienst. Die Illusionen, die er zu Beginn seiner wechselvollen Karriere gehegt hatte, verflogen aufgrund seiner Erfahrungen mit Kollegen – häufig wiedereingestellte Nazibeamte – und Vorgesetzten: «Ich habe gehofft, wir könnten die Ideologie, die innerhalb dieses Korps herrschte, samt ihren Methoden ändern. Aber ich habe mich geirrt. Die Polizei ist, das ist mir viel zu spät klar geworden, zu allen Zeiten und in allen Systemen ein Unterdrü-ckungsinstrument.»

Die Hoffnung auf einen revolutionären Wandel, die Hoffmann beseelte, brachte Landauer gegen Ende seines Lebens nicht mehr auf. Froh machte ihn nur das Wissen darum, nicht auf Kosten anderer überlebt zu haben, nie die Uniform der Deutschen Wehrmacht getragen zu haben. Und natürlich die Tatsache, dass es ihm gelungen war, nach seiner Pensionierung, als unbezahlter Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, das umfangreichste Archiv über ein nationales Spanienkämpferkollektiv – das der Österreicher, Männer wie Frauen – aufzubauen. Dieses Gelingen steht für seine Art des Erinnerns: Doku-mente zusammenzutragen, die so viele Biografien in ihren Umrissen kenntlich machen. Der Drang nach Vollständigkeit, der Landauer antrieb, blieb Hoffmann unverständlich. Wozu eine möglichst komplette Liste der österreichischen Freiwilligen, wichtiger wäre es doch, ihren Kampfgeist an die Jungen weiterzugeben.

Die beste Nachrede


Aber viele dieser jungen Leute sind von Landauer nachhaltig beeinflusst worden. Der Inns-brucker Historiker Friedrich Stepanek etwa erinnert sich, wie er ihn als Schüler aufgesucht hat – wegen einer Maturaarbeit über Interbrigadisten. Landauer habe ihm die Dossiers einiger Tiroler in die Hand gedrückt und ihn damit in den Lesesaal geschickt. «Nun ließ er mich al-lein arbeiten, oder besser gesagt, mich meine Überforderung mit den Dokumenten selbständig abbauen.» Aus dieser Begegnung resultierte, Jahre später, Stepaneks Buch über alle Tiroler Spanienkämpfer, das in Hingabe und Akribie Landauer – dem «Großvater, den ich mir ge-wünscht hätte» – gerecht wurde. Stepanek: «Sein Weitblick, sein Wissen, seine Lebenserfah-rung, seine Analysefähigkeit, sein detektivisches Gespür, sein Sinn fürs Wesentliche, sein lebenslanges Engagement … kurzum: er zog mich in seinen Bann und prägte mich bis heute.» Eine bessere Nachrede ist schwer vorstellbar.

Erich Hackl

Info:

Gert Hoffmann: Barcelona – Gurs – Managua. Auf holprigen Straßen durch das 20. Jahrhun-dert. Karl Dietz Verlag, Berlin 2009

Hans Landauer: Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer. 2. erweiterte u. verbesserte Aufl., Verlag der Theodor Kramer Gesellschaft, Wien 2008

Friedrich Stepanek: «Ich bekämpfte jeden Faschismus». Lebenswege Tiroler Spanienkämpfer. Studienverlag, Innsbruck 2010