Zwei Frauen und die Kunst des DenkensArtistin

Philosophie, buchstäblich

Als klassische Tradition männlichen Denkens wurde der guten, alten Philosophie Jahrhunderte lang gefrönt. Gemeinhin warf man mit – für Laien – rätselhaften Fachbegriffen um sich und kredenzte lebensferne Lehrgebäude. Eine elitäre Tätigkeit, der heute beinahe ausschließlich an Universitäten nachgegangen wird und also nur wenigen Verwegenen bis Hochverehrten vorenthalten ist. Mit ihrer Philosophischen Werkstatt und Ateliergalerie „R2“ wollen die beiden Philosophinnen Irmgard C. Klammer und Sabine Bauer den Gegenbeweis antreten.Im Augustin-Gespräch erklären sie, wie sie die Philosophie aus ihrem engen Rahmen der Hörsäle und Bibliotheken heraus in den Alltag zu holen versuchen und trockener Theorie praktische Umsetzung folgen lassen. Der „Ort der Besinnung und des Nachdenkens“ soll Menschen dazu anregen, sich vor allem mit Themen der Ethik zu beschäftigen. Seit einiger Zeit gibt es öffentliche philosophische Werkstattgespräche, wo Menschen gemeinsam spintisieren, Ideen entwickeln und an Themen wie Selbstbestimmung, Urteilsfähigkeit oder menschlicher Umgang arbeiten.

Ihr habt vor kurzem eure „Philosophische Werkstatt“ eröffnet.

Bauer: Was wir hier machen, ist vielleicht vergleichbar mit der antiken Art des Philosophierens, wo einerseits in den Akademien, aber auch in Gärten, bei Rundgängen und auf öffentlichen Plätzen disputiert wurde. Wir sind in einer Art Zwischenraum: einerseits eine Institution, andererseits auch Aktion, indem wir auf die Gasse gehen. Das haben wir ganz bewusst so angelegt, damit die Leute diese Schwelle zur Philosophie hin möglichst leicht begehen können und neugierig gemacht werden: Was ist Philosophie eigentlich? Ist das etwas, das mir in meinem Alltag helfen könnte? Wir hatten eine Aktion zum Thema Raser in der Stadt und haben den AutofahrerInnen hintereinander zwei Schilder mit der Aufschrift „Tempo 30“ und „Danke!“ entgegengehalten. Es war interessant, dass viele Leute stehen blieben und wir redeten: Wie bewege ich mich eigentlich? Die Menschen sind relativ schüchtern. Spricht man sie jedoch direkt an, bemerkt man, dass faktisch jeder das Bedürfnis hat zu sprechen.

In welchen Bereichen unseres Lebens fehlt die philosophische Praxis?

Klammer: Sie fehlt im Sinne der gesellschaftlichen Betrachtung im Nahbereich. Es fehlt die Besinnung. Die Zeit, sich selbst Zeit zu geben: Was tue ich eigentlich? Warum tue ich es? Warum hetze ich durch die Straßen? Wir sind irrsinnig materialistisch ausgerichtet, sind eigentlich nur mehr Zahlen. Wie viel verdienst du? Bisserl mehr, bist schon wer, bisserl weniger, bist niemand. Was ist das Menschsein heutzutage? Insofern müsste Philosophie viel mehr Alltagsthema sein.

Die Kluft zwischen denken und handeln

Bei euren offenen „Philosophischen Werkstattgesprächen“ gibt es jeweils ein von euch vorgegebenes Thema.

Klammer: Wir leiten mit kurzen Impulsreferaten Themen ein, die die Menschen im Alltag beschäftigen: Gesellschaftspolitisches und Zeitthemen wie z. B. die Globalisierung. Letztendlich ist ja jeder Mensch davon betroffen, wenn die Schraube immer stärker zugezogen wird. Das ist kein Aufruf zum Widerstand, sondern zum bewussten Handeln. Das heißt konkret: Konsequenzen ziehen und die eigenen Ängste überwinden. Ängste sind zum Großteil freilich geschürt. Wenn ich heute die Zeitung aufschlage, werde ich permanent mit Ängsten konfrontiert. Ich muss lernen, mich davor zu schützen, und bewusster mit der Informationskultur umgehen. Außerdem wollen wir Vernetzungsmöglichkeiten schaffen, auch für junge PhilosophInnen, die ihre neuen Ideen vorstellen können. Wir wollen sie fördern und ihnen zeigen, dass es auch ein Leben nach der Universität und andere Formen des Philosophierens gibt.

Was unterscheidet die praktische Philosophie von dieser Unzahl von heutigen Sinnangeboten wie Esoterik oder Religionsgemeinschaften?

Bauer: Der Unterschied ist der, dass die Philosophie versucht, Orientierung zu bieten und dabei das Nachdenken unterstützt. Was hat es früher schon an Antworten gegeben, was ist neu in der Gegenwart und wie können wir dem begegnen? Irgendwo arbeitet die Philosophie auch an der Verbesserung des Menschen, woran jedoch nicht eine Art Heilsversprechen oder Erlösungsgedanken angeknüpft ist. Es gibt quasi keinen Gott in der Philosophie, außer den Menschen selbst, der etwas Göttliches in sich hat. Nicht jedoch eine zentrale Figur, von der man die Antworten empfängt und danach lebt. Die Frage ist immer die: Was ist mir selbst angemessen? Und ist dies auch im Zusammenleben mit anderen in Ordnung?

Ich kann mir vorstellen, dass ihr da gewisse Lücken einer für viele realitätsfernen Kirche füllt.

Klammer: Wir sehen uns freilich nicht als Konkurrenz zu religiösen Vereinigungen. Dass gerne nachgedacht wird, ist nie wirklich bestritten worden. Dass Problem ist, dass zwischen denken und handeln immer noch eine große Kluft ist, und da gilt es gegenzusteuern. Dort setzt die praktische Philosophie an.

Weniger fernsehen zum Beispiel …

Ich persönlich war immer von Gruppen angezogen, die idealistische Ideen hatten und in dieser eigenkreierten Welt lebten. Sie schufteten dafür und versuchten, andere davon zu überzeugen, mit ihnen gemeinsam für eine gerechte, bessere Welt zu kämpfen. Letztendlich aber sah ich diese Leute immer scheitern, weil es an der Konsequenz in der Umsetzung mangelte. Immer gab es die Mächtigen und die Benutzten.

Bauer: In solchen Gruppen weiß man sehr schnell, was alles getan werden muss, aber es wird oft vergessen, dass man Freude am Tun selber hat. Der Schritt ist relativ klein, nur wird er meist nicht unternommen. Fast in jeder Sekunde des Daseins wäre praktizierbar, was man sich wünscht und denkt. Man regt sich etwa darüber auf, dass die Menschen so hektisch und unhöflich sind. Doch vielleicht bin ich genauso unterwegs und dadurch kommt es zur immer gleichen Erwiderungsform. Es ist interessant zu beobachten, wie da tagelang jemand grantig vorbeigeht und in dem Moment, wo man selber mehrmals freundlich hingrüßt, ab dem Moment grüßt diese Person, und es ist ein komplett anderes Klima da. Man kann mit kleinen Verhaltensgesten viel machen.

Also ich muss sagen, ich höre da sehr den Buddhismus heraus.

Bauer: Man sollte kritisch sein und sich die Wahrheiten auch anschauen, anstatt sich davor zu drücken. Durch Analyse wird sehr genau betrachtet, wie bestimmte kulturelle Normen, die uns allen nicht gefallen, zustande kommen. Das ist gesellschaftlich bedingt, aber auch durch jeden individuell mitgetragen. Was kann jede einzelne Person, die das System zwar ablehnt, aber noch immer mitträgt, tun und auf welche Weise?

Ich denke, oft scheitert es an unseren psychosozialen Bedingungen, etwa dem Überfluss an Sinneseindrücken – wie hält man dem stand?

Klammer: Weniger fernsehen z. B. Stattdessen sollte man sich mehrmals am Tag besinnen. Selbstverantwortung – das ist leider ein sehr unpopuläres Wort. Fälschlicherweise wird sie als eine Bürde angesehen, aber eigentlich wird damit vieles erleichtert.

Nicht nur in der Philosophie wurden Frauen großteils ignoriert. Gibt es Hoffnung für die Zukunft weiblichen Denkens? Dass „Gender Studies“ 2006 als eigener Studiengang angeboten werden, stößt auf viel Widerstand und viele sehen das als Pipifax angesichts der immer kleiner werdenden Bildungstöpfe.

Bauer: Das ist EU-konform und längst beschlossene Sache. In der ganzen philosophischen Tradition gab es immer wieder Versuche, „weiblich“ zu denken, das heißt, Geist und Emotion als Verbindung zu sehen. Wir merken auch bei den Frauen ganz stark den Wunsch, in dieser Form über Dinge zu sprechen und die Männer schließen sich langsam an. Hannah Arendt sagt: „Die Männer wollen wirken, die Frauen wollen verstehen.“ Der Philosophie kann nichts Besseres passieren, als dass es ums Verstehen geht und nicht um die Wirkung der Selbstdarstellung.

Welches philosophische Zitat würde euch einfallen als eine Art Motto für eure Arbeit?

Bauer: Ein Satz von Aristoteles: „Wer sich geringer einschätzt, als er ist, ist ängstlich.“ Es geht darum, die Menschen zu bestärken, sie selbst zu sein und den Mut zu haben, die Dinge umzusetzen, die ihnen wichtig sind.

Infos:

www.tychen.at

Lindengasse 61-63/R2, 1070 Wien

Tel. 01-94 770 84

Bauer, Sabine und Klammer, Irmgard C.:“Denken entlang des Herzens – Praktische Philosophie“, Books on Demand GmbH, ISBN: 3-8334-0054-4

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