Vom Zeitschriftenabo- zum Straßenzeitungsverkäufer
Ich war freiberuflich in der Abo-Werbung tätig, erzählt der Augustinverkäufer und meint nach kurzem Innehalten, man nennt das auch Keilerei. Sein Gewissen erlaubte es ihm nicht länger, diesem Job nachzugehen: Ich wollte etwas verkaufen, was den Leuten auch was bringt und was ich mir selbst gegenüber rechtfertigen kann. Hans warb für Zeitschriften wie Neue Post oder Praline AbonnentInnen an. Mit dem Augustinverkauf blieb er im Prinzip der Branche treu, doch die Bedingungen verbesserten sich und die Ware selbst, also der Augustin, ist nichts Schlechtes.
Das erzählte er auch schon einem Schweizer Fernsehteam, das ihn einmal bei seiner Arbeit im unteren Bereich der Mariahilfer Straße begleitet hat. Es war etwas mühsam, denn es sie wollten filmen, wie Leute auf Straßenzeitungsverkäufer reagieren, doch ein Fernsehteam wirkt auf die Leute abschreckend, also keine Spur von Reality-TV. Für Hans war dieser Auftritt für ein Schweizer Fernsehen somit ein kleiner Reinfall. Zudem wisse er von Schweizer Kunden, dass es dort auch Straßenzeitungen gebe (z. B. Surprise, die in der deutschsprachigen Schweiz zweimal im Monat mit einer Auflage von 23.000 erscheint, Anm.), also konnte es auch nicht darum gehen, etwas Neues oder Exotisches einzufangen: Denen und den deutschen Kunden sage ich immer, ich würde mich freuen, wenn ein Augustin ins Ausland kommt, und sie sollen die Zeitung auch seinen ausländischen Verkäuferkollegen zeigen. Dann lachen sie immer recht.
Ans Eck gestellt
Anfangs war ich leutscheu, das klingt aus dem Munde eines ehemaligen Keilers, der es versteht, aus dem Augustinverkauf eine kleine Straßenperformance zu machen, leicht irritierend. Seine ersten Feldversuche mit der Kolportage unternahm er in der Porzellangasse und in Döbling, doch diese Gegenden taugten ihm nicht. Zudem waren sie ihm zu weit vom Heimatbezirk Margareten entfernt. Mit der Mariahilfer Straße konnte er sich aber sofort anfreunden. Als sich seine Scheu vor den Menschen zu legen begann, rückte er innerhalb der Mahü vom unteren Ende beim Museumsquartier etwas höher an das Eck des Geschäftslokals einer großen Modehandelskette. Dieses Gebäude hat ein abgeschrägtes Eck, wie geschaffen für den Straßenzeitungsverkäufer. Für das Modehaus ist es ein totes Eck. Dieser Auslagenbereich wird immer frei gelassen. Hans steht außen davor, flankiert von einer Menge Schaufensterpuppen mit Konfektionskleidung für den leicht gehobenen Geschmack. Wenn es die Witterungsverhältnisse erlauben, steht Hans Edlmayr hin und wieder mit Steirerjanker und -hut gekleidet zwischen den Schaufensterpuppen, die somit völlig in den Schatten gestellt werden: Im Verkauf ein wenig auffallen ist nicht schlecht, der Hut spricht die Leute an, redet aus ihm der Schalk, doch er betont dabei auch, dass er diese Stücke von einem Kunden geschenkt bekommen habe und er dies zu schätzen wisse.
Indikator Einkaufssackerl
Wenn Hans viele Leute Einkaufssackerl tragend erspäht, beginnt sein Geschäftsherz schneller zu schlagen. Menschen, die gerade was gekauft haben, wirken gut drauf, diese lassen mich schnell einmal zwei Euro verdienen, lautet seine Expertise in Sachen Kaufmotivation auf dem Boulevard. Doch das Gros seiner Kundschaft scheint nicht so viel Geld übrig zu haben, um die Einkaufstaschen regelmäßig gut füllen zu können. Mein Kundenkreis besteht aus Verkäuferinnen und anderen ’normalen‘ Menschen. Und die haben immer weniger Geld zur Verfügung. Vor allem spüre ich, wie alle anderen Wirtschaftsbetriebe auch, ob Monatsanfang oder -ende ist.
Sein Augustinkollege von schräg vis-à-vis könnte die Konjunkturkurve von Hans abpausen: Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, ganz im Gegenteil. Oft gehen wir nach dem Verkaufen auf ein Bier und sprechen natürlich über unser Tagesgeschäft. Es rennt eigentlich immer gleich, hatte ich einen guten Tag, dann hatte auch er einen guten Tag. Hans ist mit seinem Verkaufsplatz äußerst zufrieden, wobei man nicht dem Trugschluss, die Menschenmassen in der Einkaufsstraße seien eine Goldgrube, erliegen sollte. Der Kolporteur klärt auf: Es dürfen nicht zu viele Leute vorbeigehen, weil sich dann der eine hinter dem anderen versteckt. Der Augenkontakt ist sehr wichtig, und man muss sie persönlich ansprechen können.
Kurz nach Mittag endet die erste Verkaufsschicht, ob Hans am Nachmittag noch eine anhängt, entscheidet er nicht alleine: Es kommt darauf an, was mein Sohn, wenn er von der Schule nach Hause kommt, vorhat. Hans ist Alleinerzieher. Seine 13-jährige Tochter muss aufgrund der sozialen Verhältnisse noch in einer betreuten Wohngemeinschaft leben, doch er bemühe sich, die Familie zusammenzuführen. Sein 15-jähriger Sohn wohnt hingegen bei ihm: Die Kinder geben mir einen Halt. Wegen ihnen mache ich viele Sachen, die schlecht für mich waren, nicht mehr, meint der zirka 45-Jährige, der sich nun geläutert sieht. Seine Tochter würde ihn auch als Augustinverkäufer voll und ganz akzeptieren Sie besucht mich bei der Arbeit , doch sein Sohn hätte seine Probleme damit und wünschte den Vater im Rang eines ÖBB-Präsidenten oder Doktors zu sehen. Hans führt dies auf die schwierige Altersphase zurück und ist frohen Mutes, bald die volle Akzeptanz des Sohnes zu erhalten: Ich bin oft mit umgehängtem Augustinausweis Einkaufen gegangen, da hat mich mein Sohn immer daran erinnert, ihn runterzugeben. Die Kinder hätten ihm zu mehr Seriosität verholfen, auf die er bereits als Jugendlicher gepfiffen habe: 1982 verlor ich durch einen Verkehrsunfall einen Unterschenkel. Dadurch habe ich die Tischlerlehre aufgeben müssen. Dazu kam auch noch der Alkohol, und diese Faktoren Alkohol und Behinderung führten zum Knackpunkt in meinem Leben.
Obdachlosigkeit war hippiesk
Ein Leben, das im oberösterreichischen Innviertel begann und über die Stationen Linz und Graz nach Wien führte. Der Knackpunkt führte ihm vor Augen, keinesfalls das kleinbürgerliche Leben, auf dessen Wege er sich befand, durchziehen zu wollen. Hans verspürte den Drang, unabhängig, so ähnlich wie Hippies, leben zu wollen. Doch diese Phase des Ausprobierens führte ihn in keine Kommune, sondern in die Obdachlosenszene rund um den Wiener Westbahnhof: Ich war nicht zur Obdachlosigkeit gezwungen, ich schlief freiwillig in Waggons. Ich wollte damals nichts anderes. Rückblickend sei es keine schöne Zeit gewesen, es sei ein jugendlicher Fehler gewesen, ein großer Fehler, wie Hans präzisiert: Der Kampf ums Geld beziehungsweise um den Alkohol war extrem. Ich bin total froh, das abgehakt zu haben.
Seinen Kindern möchte Hans die Erfahrung solcher Eskapaden ersparen. Er, der das normale Leben im Innviertel, die dort verbreitete Mentalität des Häuslbauens nicht ausgehalten hatte, änderte seine Einstellung. Bis zu den nächsten Weihnachten hoffe er, das Geld für eine Sitzecke in der Küche zusammengespart zu haben, das sei aber bloß sein kleiner Wunsch. Der große ist für seine Kinder reserviert. Der Sohn soll nach seinem Schulabschluss eine Lehrstelle finden und die Tochter in eine Bahn kommen, die okay ist, wo der Normalbürger sagt, das ist normal.