Zwischen Krieg und SeinDichter Innenteil

Unsere "kleine Familie" Foto: Heidemarie Ithaler-Muster

Ich möchte laufen wie ein kleines Kind …

 

… dem Krieg davon, auch wenn es mein eigener ist, der doch durch andere entstanden ist. Ich sehe die Bilder vom Geschehen in der Ukraine. Es drückt mir Tränen ins Gesicht, es sind nur Tränen, aber es erdrückt mich beinahe …

Menschen, sie sind tot, liegen herum. Sogar im Tod noch die Würde verloren, irgendwie verkrüppelt liegen sie da. Auf den Straßen, wo Panzer rollen, alles in Schutt und Asche gelegt, dazwischen diese deformierten Leichen …

Ich schaue nur zu, ich könnte am Handy weiterscrollen, wie viele andere auch, aber ich tue es nicht … Warum bin ich selbst so grausam zu mir, warum tue ich mir das an, diese zerfetzten Körper, blutverschmiert, anzuschauen? Es schleudert mich raus, aus meinem Tag, kurzzeitig auch aus meinem Leben … Als Maske vielleicht? Weil mein eigenes momentan noch mehr weh tut, damit meine Seele ein Komplott eingeht, lieber für andere zu leiden, zu schreien, zu weinen …

Und alleingelassen, weil ich das jetzt so will, weil vielleicht der nächste Verräter kommen würde, um mir weh zu tun …

So werde ich grausam sein, um die Grausamkeiten selbst zu tragen und ertragen. Eben am Handy, so weit weg, aber es betrifft uns alle, auch wenn man nicht hinschauen will!

Und irgendwie sehe ich einen Mann dazwischen, der mir anderes vermittelt, obwohl er auch schuldig – unschuldig gleichzeitig war. Ja, ich wäre gern immer mit ihm, er wirkt friedlich, inmitten des Schlachtfelds! Ich habe oft seine Augen gesehen …

Ja, vielleicht ist er die Hoffnung, und er polarisiert mir dieses Gefühl, das ich auch haben möchte – nenn es vielleicht Fürsorge und ein bisschen Geborgenheit, ein Mann, der sicher kein Verräter ist … Auch wenn er selbst wohl verraten wurde.

 

Sascha – Gestern – Heute

 

Der Tschetschene, traumatisiert vom Krieg, damals in Tschetschenien, Folterungen, Elektroschocks in der Psychiatrie in Moskau.

Mit der Frau und mit drei kleinen Kindern, sie flüchteten über Polen nach Österreich, Traiskirchen zuerst, dann nach Graz. Er fühlte sich von seiner Frau provoziert und da war eine Schere … Die Frau wurde leicht verletzt, er agierte im Affekt. Haftuntauglich, landete er als forensischer Patient in der Psychiatrie. Dann kam er, 2008 war es, glaube ich, zu uns ins Haus, ins Pflegewohnheim. Scheu, zu niemandem Vertrauen, seinen Kopf steckte er immer zwischen die Beine, wenn er auf der Bank hockte. Ich wusste sofort, was zu tun war! Jasmin, die später starb, meine Lebensfreundin, wir sprachen uns immer ab, und wir waren immer einer Meinung. Nämlich, obwohl wir selber nicht viel hatten, verschenkten wir Geld an andere, ob es eine arme Taxifahrerin war oder ein Heimbewohner. Voraussetzung war, dass diese Menschen uns mochten … Dann sahen wir uns wortlos an und wir wussten – Jasmin und ich –, dem möchten wir helfen …

Sascha wurde mein Freund, ich seine einzige Bezugsperson, aber wir wurden mehr! Manche sagten, der kriegt ja gar nichts mehr mit! Ich sah das nicht so, vielleicht war ich schon lange betriebsblind, aber mein Gefühl war intakt.

Wir verbrachten viel Zeit miteinander, vor allem alleine. Wir fuhren in Urlaub, wir zwei machten in einem Studio eine Radioaufnahme, die live gesendet wurde. Ich schrieb in meinen Büchern über den «einsamen Wolf aus dem Kaukasus».

Unsere «kleine Familie», so wie sie tatsächlich immer war und sehr wohl auch sein wird, entstand. Sascha, Jasmin, Johannes und ich. Der andere, er bleibt heute namenlos, so wie Gräber im Krieg namenlos sind, war und bleibt eine Notlüge, er hat Sascha den Platz weggenommen, obwohl Sascha ihn viel mehr gebraucht hätte, den warmen Brutplatz unter meinem Federkleid. Ja, wir vier – die «kleine Familie» – hielten zusammen, wir waren ein zusammengewürfeltes Mosaik, sogar aus verschiedenen Ländern, woraus sich eine wunderbare Freundschaft ergab.

Sascha, obwohl wir nun nicht mehr im gleichen Haus wohnen, gehört nach wie vor dazu, was von der «Kleinen Familie» übriggeblieben ist, nämlich er, Johannes und ich! Ein Kämpfer, und kein Terrorist, der, wo der Krieg für mich war, für mich auch nicht gefallen ist. Wir reichen uns die Hand, nicht indem ich sie spüre, sondern weil wir mit dem Herzen verbunden sind und uns gegenseitig Halt geben. Ohne Hände, aber spürbar ist Ehrlichkeit, Treue, Einsatz für den, den man liebt, als auch Verletztheit, aber deswegen auf einer Ebene, wo Mann und Frau noch lebbar wird. Mit Nähe, vor der wir Angst haben, wovor uns normalerweise scheuen, aufbäumend wie ein junges Fohlen. Aber es ist doch schön für mich, einem Kriegsversehrten Heimat zu geben und auch ein bisschen selbst bei ihm das zu finden … Zwei starke Männerarme, nur stark, Muskeln stählern gemacht, doch die Seele gebrochen, weil man sie nicht endlos brechen kann …

 

Wir wollten Frieden, wir fanden Krieg! Heute geben wir zwei uns den Frieden, traumatisiert und verletzt … Dabei fanden wir uns!

 

Ein nicht alltäglicher Spiegel von heute, von meiner authentischen Geschichte. Über Krieg, Liebe, Verrat, Mut, Kampf, Sinnlosigkeit, dazwischen nur ein kleiner Spielraum für das Glück, das die Seele nur nähren kann. Viele namenlose Gräber, die zurückbleiben werden, ohne dazuzulernen, wohl bewegt zu haben, für manche doch abschreckend, um den Frieden zu schätzen! Traurig, dass man es sich nicht immer aussuchen kann und man wird hineingesetzt – mitten ins Schlachtfeld. Doch selbst dort manifestiert sich die Liebe, weil sie dem so trotzt, sich entscheidet, mächtig und fast unschlagbar zu werden!