Zur Kremser Aktionistinnnen-Ausstellung
Gut 40 Jahre nach dem Wiener Aktionismus gilt diese international gefeierte Kunstströmung noch immer als rein männlich determiniert und als deren Heroen Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler. Darauf kontert nun die Ausstellung «Aktionistinnen» im Forum Frohner in Krems. Es wird heftig dekonstruiert, korrigiert und ergänzt. Mit der Kuratorin Brigitte Borchhardt-Birbaumer (BBB) sprachen zwei Kunsthistorikerinnen der Forschungsgruppe forthelongrevolution.net.
Foto: Reinhold Bertlmann
Sie schreiben, dass der internationale Ruhm des Wiener Aktionismus‘ hartnäckig an seine männlichen Vertreter gebunden ist. Mit der Ausstellung «Aktionistinnen» wollen Sie dieses Geschichtsbild dezentrieren.
Ja, diese Absicht verfolge ich gemeinsam mit Dieter Ronte, dem Leiter des Forum Frohner, und mit Hans-Peter Wipplinger, dem Direktor der Kunsthalle Krems, der auch die Idee zur Ausstellung hatte. Es geht uns um ein Aufbrechen veralteter, historischer Positionen und damit um eine Umschreibung der herrschenden Kunstgeschichte: Alle in der Ausstellung vertretenen Künstlerinnen sind neben die berühmten Namen Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler zu stellen. Nur so ist der immer noch bestehenden Marginalisierung dieser Künstlerinnen entgegenzuwirken. Gerade die öffentlichen Aktionen von Linda Christanell, Renate Bertlmann und Rita Furrer sind noch viel zu wenig bekannt. Insofern nehmen sie den Hauptteil der Ausstellung ein.
Historisch gesehen kreierte Peter Weibel 1969 die Benennung Wiener Aktionismus für die vier genannten Künstler. Die Künstlerinnen distanzierten sich damals von dieser Kunstströmung – funktionierte diese doch nach einer männerdominierten Eigenlogik. Rücken Sie mit der Wahl des Ausstellungtitels diese nicht wieder zusammen?
Den Titel übernahmen wir von VALIE EXPORT, die ihre bekannte Ausstellung «Magna» 1975 als «feministischen Aktionismus» bezeichnete. Wir verwenden ihn mit der von EXPORT geforderten inhaltlichen Trennung, die in eine völlig eigenständige feministische Richtung weist. Sie wollte verständlicherweise nie zu den Wiener Aktionisten gezählt werden, denn diese schauten auf sie und ihr Kunstschaffen nur herab. Beispielsweise erschöpfte sich ihre Mitwirkung an der unter «Uniferkelei» berühmt gewordenen 1968er-Aktion «Kunst und Revolution» als Beleuchterin.
Im Zuge der strafrechtlichen Folgen der Aktion wurde EXPORT nicht belangt. Sie war in diesem Kontext nicht einmal aufgefallen. Nitsch hingegen wurde von der Polizei gejagt, obwohl er gar nicht dabei war. Hier wird der Staat sehr deutlich erkennbar: Frauen haben als Subjekte nicht existiert. Ihnen wurde insofern auch nicht zugemutet, «Böses» anzustellen. Eine Distanzierung fand somit zuerst umgekehrt, von männlicher Seite her statt. Die Distanzierung der Künstlerinnen erfolgte zu Recht – aber auch aus inhaltlichen Gründen. Der Wiener Aktionismus hatte mit NS-Vergangenheit, Gewalt, Krieg usw. zu tun. Die Aufarbeitung dieser Vergangenheit, die Abreaktion daran, die freudianischen Analysen: Das waren nicht die Themen, die die Künstlerinnen interessierten. Sie wandten sich Neuem zu. Der eigene Körper wurde zum Ausgangspunkt.
Heute hingegen sind sich die noch lebenden beteiligten Künstlerinnen bewusst, dass sie dieser Kunstströmung zuzurechnen sind. Der feministische Aktionismus ist formal und ideengeschichtlich dem Wiener Aktionismus sehr nahe. Mit dieser Ausstellung fordern wir das auch ein.
Das ist also Ihre kuratorische Intention?
Ja, unsere provokante These lautet, dass der Wiener Aktionismus nicht nur – wie stets behauptet – bis 1969/70 dauerte, sondern bruchlos mit dem feministischen Aktionismus weiterging, auch wenn die Inhalte andere waren. Und selbst diese zeitliche Abfolge muss fallweise revidiert werden. So war es Kiki Kogelnik, die 1967 das Happening von den USA nach Österreich brachte – mit «Kunst kommt von künstlich» in der Galerie nächst St. Stephan. Auch VALIE EXPORT nahm viel vorweg, wie den experimentellen Film, der dann in das bereits aktionistische «expanded cinema» überging (1967-1969), oder Bertlmann und Christanell, die in ihrem BC-Kollektiv sehr intensiv neue Medien verwendeten.
Bis ans Lebensende nicht gelüftet
Welche Themen werden in den Arbeiten der Künstlerinnen konkret verhandelt?
Einige Arbeiten von Ingrid Opitz, von Bertlmann oder EXPORT haben etwas von einer aggressiven Gegenwehr gegen gesellschaftliche Vorschriften, wie die Frau damals zu sein hatte und wie Rollenbilder in die Kultur eingeschrieben waren. Furrer und Christanell hingegen spielen bereits stark mit androgynen Ansätzen. Für Christanell war auch Technik wichtig und Sound. Sie stand in Verbindung mit dem Komponisten Anestis Logothetis und den neuesten Musiktheoretikern. Bei den stillen «intervenierenden Handlungen» von Furrer dagegen ging es um Ganzkörperverhüllungen, die sich der feindlichen, sexistischen Konsum- und Werbewelt, aber auch dem männlichen Blick verweigerten. Sie hat diese Verhüllung im Übrigen bis an ihr Lebensende nicht gelüftet. Die inszenierte Fotografie wiederum kommt bei Kogelnik oder Bertlmann vor – übrigens lange vor Cindy Sherman, wie Berthold Ecker unlängst entdeckte. Von Birgit Jürgenssen haben wir, wie auch von Margot Pilz, eine Maske in der Ausstellung. Damit zeigen wir auch Ambiguitäten, Mehrdeutiges und lyrische Elemente sowie mit dem BC-Kollektiv erotische Themen, etwa einen Muff, der innen und außen mit Latexschnullern besetzt ist.
Mit welchen herrschenden kunsthistorischen Auffassungen brechen Sie radikal?
Zum Beispiel mit dem Vorwurf, dass die Kunst dieser Künstlerinnen eine ephemere gewesen sei, eine, die aus dem Bauch heraus entstand. Den Frauen wurde ja immer das Emotionale zugeordnet. Die künstlerischen Resultate zeigen aber, dass exakt nach Konzept vorgegangen wurde: Wenn Themen wie Geburt, Tod und die eigene Sexualität von den Künstlerinnen herausgegriffen wurden, so waren diese auf das Ideal des Matriarchats oder den kulturellen Feminismus hin bezogen. Christanell, um ein weiteres Beispiel zu nennen, ist in ihrem künstlerischen Ansatz sehr überlegt, philosophisch und sprachlich gebunden, schreibt ganze Partituren zu einem exakten Ablauf und performt das dann auch so – spontan war eher Otto Mühl, in seiner Frühzeit manchmal auch Hermann Nitsch. In Bezug auf ihren experimentellen Filmansatz mit der Analyse von Wahrnehmungsvorgängen ist sie Kurt Krenn nahe – das stellten die beiden auch fest, als sie sich kennenlernten.
Wie die IntAKT ihrer Zeit voraus war
Die Hälfte der ausstellenden Künstlerinnen war Mitglied bei der 1977 gegründeten IntAkt – der Internationalen Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen. Ihr (kunst-)politisches Agieren war immens wichtig. Insofern verhandeln wir es unter Bezugnahme auf die «künstlerischen Frauenbewegung/en». Der IntAkt ging es um basisdemokratisches Agieren und kollektives Handeln. Sie entwickelte Alternativen zum bestehenden patriarchalen Kunstbetrieb und war gegen Leistungsdruck, Konkurrenz und Innovationszwang. Auch hier wurde Aktionistisches, nun auf einer kollektiven Ebene verhandelt?
Ja, allerdings ist zu differenzieren: Die IntAkt-Künstlerinnen haben zwar mit Performancetagen und Festivals im IntAkt-Treff (Griechenbeisl), in Krems und bei Grita Insam (modern art Galerie, Öst. Kunstverein) zusammen diskutiert, jede hat aber eigenständig ihre Performance-Partituren ausgeführt. Es gab aber auch Teamwork, wie das bereits erwähnte BC-Kollektiv.
Bei den IntAkt-Ausstellungen wurden bewusst keine Qualitätsunterschiede gemacht, Künstlerinnen bekamen darin gleich viel Platz. An das Marktkonforme wurde nicht gedacht. Ja, am Kunstmarkt zu reüssieren galt sogar als verwerflich. Die IntAkt war ihrer Zeit voraus, auch was Teamwork, Organisation oder internationale Kontakte betrifft, und sie war nicht nur eine künstlerische Vereinigung, sondern auch eine politische. Direkt angegriffen wurden Macho-Attitüden, das Sichhervortun, die männliche Macher- und Meistergeste in der Kunst oder die «Malerpranke». Die IntAkt-Künstlerinnen kämpften ebenso gegen die Atomkraft, den Vietnamkrieg und für die «Arena» oder das Recht auf Abtreibung. Gemeinsam mit Johanna Dohnal war die IntAkt für die Durchsetzung feministischer Positionen in der Politik wichtig. Insofern hat sie etwas verändert.
Handlungsbedarf ist aber noch immer gegeben …
Ja. Nach wie vor stehen Künstlerinnen in der zweiten Reihe. Ihre Kunst ist am Kunstmarkt immer noch günstiger, wenngleich nicht schlechter. Wenn Ausstellungen ins Ausland verschickt werden, sind Künstlerinnen immer noch unterrepräsentiert. Diese historischen, verkrusteten Positionen sind aufzureißen. Auch beim Wiener Aktionismus müssen feministische Akzente erst noch gesetzt werden.
forthelongrevolution.net. ist eine 2011 gegründete Forschungsgruppe, die sich mit künstlerischen Frauenbewegungen befasst.
Interview: forthelongrevolution.net
INFO:
«Aktionistinnen», Forum Frohner / Kunsthalle Krems, bis 24. 8., www.kunsthalle.at
Künstlerinnen: Renate Bertlmann (*1943), Linda Christanell (*1939), VALIE EXPORT (*1940), Rita Furrer (1939-2003), Birgit Jürgenssen (1949-2003), Kiki Kogelnik (1935-1997), Ingrid Opitz (1941-2007), Margot Pilz (*1936)
Kurator_innen: Brigitte Borchhardt-Birbaumer und Dieter Ronte