Zwischen Upload-Filter und Allmendetun & lassen

Die Ökonomie des Internets hat unsere Vorstellungen von geistigem Eigentum verändert. Über digitale Gemeingüter und ihre Produktionsbedingungen, Creative Commons und die Debatte ums Urheberrecht.

Text: Barbara Eder

Es klingt einfach – und fast zu schön, um wahr zu sein: Man nehme eine technische Infrastruktur, eine Handvoll Wissensarbeiter_innen und eine Idee, an der sie kollaborativ arbeiten. Die virtuelle, dezentrale Zusammenarbeit spart Transportkosten, das Homeoffice jene für das Büro und das, was am Ende herauskommt, ist unter Open Access für alle frei zugänglich. So haben sich Theoretiker_innen der Wissensgesellschaft – darunter Peter Drucker und Jeremy Rifkin – Anfang der Achtziger die idealen Produktionsbedingungen im informationsbasierten Kapitalismus vorgestellt, bei der die externen Effekte von Arbeit fast immer gegen Null tendieren. Digitales Wissen ist diesen Modellen nach Allgemeingut und nicht länger an Lizenzen gebunden, für die Vervielfältigung fallen bis auf weiteres keine Kosten an. In Postkapitalismus: Grundrisse einer kommenden Ökonomie formulierte zuletzt der britische Journalist Paul Mason eine ähnliche Vision: Der Überschuss an digitaler Allmende würde demnächst zur Zerstörung des Preisbildungsmechanismus führen und damit lang- oder kurzfristig den Kollaps des Marktsystems heraufbeschwören.

Wem gehört das Internet?

Schön wäre es, doch nicht ganz so einfach. Informationsfreiheit ist zwar ein Grundrecht, das sich im Zeitalter des Internets leichter realisieren lässt als jemals zuvor, diese Tatsache bewirkt jedoch noch keine gesellschaftliche Transformation. Zuallererst wirft sie die Frage danach auf, wem das Internet gehört und wer von den darin zirkulierenden Gütern in welcher Weise profitiert. Auch die Geschichte des digitalen Kapitalismus ist eine der Ausbeutung – nicht mit dem Ziel, Wohlstand für alle zu schaffen, sondern den durch die Aneignung fremder Arbeitsprodukte generierten Reichtum in den Händen weniger zu zentrieren. Sämtliche Versuche, frei im Netz verfügbare Inhalte zu lizensieren, erscheinen vor diesem Hintergrund vorerst suspekt. Dementsprechend groß waren auch die Proteste gegen die am 26. März des letzten Jahres vom Europaparlament erlassene Richtlinie zur Reform des Urheberrechts. Ursprünglich sollten die Rechte von im Netz beheimateten Produzent_innen gegenüber jenen von Internetkonzernen und Plattformen dadurch gestärkt werden, genützt hat die Regelung mehrheitlich jedoch auf das Digital Rights Management (DRM) spezialisierten Medien- und Verlagshäusern. Die Copyright-Industrie hat sich als Gewinnerin einer Reform erwiesen, die die Kontrolle urheberrechtsgeschützter Inhalte nunmehr mittels teurer und schwer zu implementierender Upload-Filter vorsieht.

Gegen die digitale Einhegung.

«Sharing is caring» verkünden stattdessen die Anhänger_innen der Open-Source-Philosophie, die am ideologischen Gegenpol strikter Urheberrechtsreglementierungen anzusiedeln sind. Als deklarierte Gegner_innen des digitalen Eigentums wandten sie sich bereits während der Dotcom-Blase gegen das Patent-Trolling, bei dem Internetkonzerne Lizenzen von bankrott gegangenen Firmen massenhaft aufkauften. Aus Protest gegen die Privatisierung von Gemeingut haben sich im Open-Source-Bereich in den letzten fünfzehn Jahren eigenständige Formen des Umgangs mit digitaler Autor_innenschaft entwickelt. Allen Nutzer_innen des GNU/Linux-Projekts steht es beispielsweise zu, das dazugehörige Betriebssystem zu verwenden, zu kopieren, zu vervielfältigen und zu verbreiten – und im Gegenzug dafür dieselbe Lizenz für das daraus abgeleitete Produkt beizubehalten. Zahlreiche Linux-Distributionen sind auf diese Weise entstanden, ihre Nutzer_innen sind lediglich dazu verpflichtet, anderen Nutzer_innen dieselben Rechte zu garantieren wie im Fall der Originalfassung. Das in Abgrenzung vom Copyright entstandene Copyleft verunmöglicht auf diese Weise die Privatisierung eines quelloffenen Betriebssystems, andere Formen des intellektuellen Eigentums werden mithilfe von Creative-Commons-Lizenzen reguliert. Dabei steht das Kürzel «by» für die Verpflichtung zur Namensnennung, «nc» für die nicht-kommerzielle Nutzung von Inhalten, «nd» für das Verbot der Veränderung digitaler Inhalte und «sa» für «share alike» – und damit für die explizite Aufforderung zur Weitergabe eines digitalen Inhalts unter Voraussetzung der Beibehaltung der Ausgangsbedingungen.

Kollaboration – und Exklusion.

Die vor allem aus dem Literaturbetrieb bekannte autoritative «Funktion Autor» scheint es in der Free-Software-Bewegung nie gegeben zu haben. Das Copyleft räumt auf mit der Idee vom genuinen Schöpfergott und setzt den kollaborativen Geist des Netzwerks an dessen Stelle. Die Nutzung von GNU/Linux ist bis heute frei, diese Freiheit aber nicht an ethische Richtlinien gebunden – sie gilt für spendenfinanzierte NGOs genauso wie für große Internetkonzerne: Alles was die Verbreitung von GNU/Linux reglementierte, wäre demnach nicht mehr als eine Schranke im freien Fluss der Information – und damit eine Unterbrechung im grenzenlosen Flow digitaler Verbreitungsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu von oben verordneten Upload-Filtern mögen die Grundsätze der Freien-Software-Bewegung digitale Gemeingüter zwar vor der Kapitalisierung bewahrt haben, genau derselbe Begriff von Freiheit rückt Open Access heute jedoch in bedrohliche Nähe zu neoliberalen Deregulierungsstrategien. Die Rede ist von Strömen, Schnittstellen und Relais, intersubjektive Prozesse und Dynamiken sind in diesem Zusammenhang bestenfalls zu minimierende Nebeneffekte eines technischen Netzwerks.
Man darf sich die Zusammenarbeit in Open-Source-Communitys keineswegs romantisch vorstellen, Anonymität und indirekte Bezüglichkeiten schließen direkte Vermittlungsformen aus, während gesellschaftlich hegemoniale Positionen auch in Prozessen der Online-Zusammenarbeit dominant bleiben. Hier sind keine «Ancient Weavers» – so hat Richard Sennett die Linux-Hacker_innen in seinem Essay The Craftsman an einer Stelle bezeichnet – am Werk, sondern mitunter harte Ausschlussmechanismen gegenüber Frauen und People of Color. In Bezug auf die Produktionsbedingungen digitaler Gemeingüter greifen zudem nicht selten konventionelle Mechanismen: Während Programmierer_innen oft auf Anstellungsbasis entwickeln und Wissensarbeiter_innen zumeist an universitären Stellen, müssen Musiker_innen oder Schriftsteller_innen, die im Internet publizieren, vom Verkauf ihrer digitalen Waren leben – und erhalten oft nur geringe Anteile pro verkauftem Song oder Buch.

Commons ohne Kommunismus.

Selbst wenn in Open-Source-Konzepten der Schutz von digitalem Gemeingut eine zentrale Rolle spielt, wird aus der Idee der Commons noch lange kein Kommunismus. Von solidarischer Software, die mehr sein will als nur frei, sind wir derzeit ebenso weit entfernt wie von egalitären Praktiken kollaborativer Autor_innenschaft im Netz, die eine adäquate Entlohnung aller Beteiligten vorsieht. Das Fehlen rechtlicher und materieller Schranken im Internet mag die Kooperation zwar erleichtern, Gemeinschaftlichkeit erzeugt dieser Prozess jedoch nicht.
Besonders früh erkannt hat diese Tendenz auch der amerikanische Science-Fiction-Autor Harlan Ellison, der sich von den vermeintlich neuen Freiheiten des Netzes nicht blenden ließ. Als Aktivist einer Gewerkschaft für Schriftsteller_innen, deren Mitglieder kollektiv gegen zu niedrige Honorarsätze vorgingen, scheute er nicht, später gegen die illegitime Vervielfältigung seiner Werke vorzugehen. Nicht die Aficionados des Genres hatte er dabei im Visier, die innerhalb der Fangemeinde Raubdrucke zirkulieren ließen, sondern die ganz Großen am Markt: Als seine Texte kostenlos auf der Website von AOL auftauchten, klagte Ellison den amerikanischen Medienkonzern wegen ungenehmigter Verbreitung urheberrechtlich geschützten Eigentums – und bekam Recht.