Lokalmatador
Srečo Dolanc ist ein Vorbild für Gehörlose. Er arbeitet in einer Apotheke in Mariahilf.
TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG
Hörenden Kund_innen, die die Apotheke betreten, winkt er mit einem Lächeln zu sich an die Tara, um ihnen dort zu deuten: «Ich bin ein gehörloser Pharmazeut.» Stimme verleiht ihm eine Dolmetscherin für Gebärdensprache. Die stellt er auch vor: «Und das ist meine Dolmetscherin.» Die Reaktionen der Kundschaft sind durchwegs positiv. Gelebte Inklusion! «Das ist wunderbar», freut sich Magister Srečo Dolanc. Seit bald acht Jahren arbeitet er in der Marien-Apotheke in der Schmalzhofgasse. «Ich bin vermutlich Europas einziger gehörloser Apotheker, der auch in der Offizin tätig ist und dort Kund_innen betreut.»
Weltruf.
Seine Arbeitgeberin, Karin Simonitsch, setzt seit dem Jahr 2008 auf die Dienste von gehörlosen Mitarbeiter_innen in ihrer Apotheke. Damals hat sie den Sohn eines befreundeten Paars spontan und ganz ohne ökonomischen Hintergedanken als Lehrling aufgenommen. Wie viel Wertschätzung sie damit auch den geschätzt 2500 Gehörlosen Wiens entgegenbrachte, sollte sich erst später weisen.
Die Apotheke in Mariahilf, in der gehörlose Menschen gerne gesehen sind, wurde bald weltweit wahrgenommen, als Best Practice, auch in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana. Dort schickte sich gerade ein junger Mann an, gängige Vorurteile zu widerlegen. Srečo Dolanc erzählt – unterstützt von der Dolmetscherin, deren Dienst hier vom Sozialministerium bezahlt wird – reflektiert über seine Kindheit und Jugend: «Ich bin in einer großen gehörlosen Community aufgewachsen. Meine Eltern verwenden die Gebärdensprache, auch meine Verwandten.»
Früh habe er die Diskrepanz «zwischen zwei Welten» wahrgenommen: Hier die Geborgenheit und Zuneigung in seiner Großfamilie, dort die Welt der Hörenden mit Unverständnis und Barrieren. «Die Schule war für mich sehr hart», erinnert sich der Apotheker. «Weil nur in Lautsprache unterrichtet wurde, habe ich oft nicht viel verstanden. Trotz meines Interesses an allen Schulfächern war ich immer hinten nach, weil ich zu Hause alles nachlernen musste.» Doch darauf habe das Schulsystem keine Rücksicht genommen.
Weltstadt.
Mit seinem starken Willen und der Hilfe seiner Familie, die ihren Glauben an ihn nie aufgab, schaffte Srečo Dolanc den Schulabschluss. Danach war er auch während des Studiums an der Universität in Ljubljana weitgehend auf sich allein gestellt. Seine Dolmetscherin übersetzt seine Gesten so: «Da war ich sehr froh, dass mir meine Eltern nie Druck gemacht haben.»
Sein Durchhalten sollte später, in Wien, belohnt werden. Im Frühjahr 2013 besuchte er die Hauptstadt des Nachbarlandes zunächst als Tourist. Von der Marien-Apotheke hatte er zuvor schon gelesen, mit der Unterstützung anderer gehörloser Student_innen konnte er diese schon an seinem zweiten Urlaubstag ausfindig machen. Er hatte Glück: «Die Chefin war an diesem Tag in der Apotheke, und sie hat sich für mich auch spontan Zeit genommen, denn ich hatte ja keinen Termin.» Offensichtlich wusste Srečo Dolanc auf Anhieb zu überzeugen: «Ihre einzige Auflage war, dass ich bis zu meinem Dienstantritt Deutsch lernen müsste.» Ein Leichtes für den leidenschaftlichen Pharmazeuten: Heute beherrscht er übrigens neben der deutschen auch die internationale Gebärdensprache.
Wien ist für den jungen Mann aus Ljubljana längst zu seiner zweiten Heimat geworden. Hier hat er berufsbegleitend sein Studium zu Ende gebracht, hier kann er seiner Berufung folgen und seine geliebte Arbeit ausüben. «Was Wien jedoch weiterhin nicht bieten kann», merkt der gehörlose Akademiker auch an, «ist ein barrierefreier Zugang zur Kultur». Zwölf der vierzig Wochenstunden arbeitet er in der Offizin, was ihm große Freude bereitet: «Ich kommuniziere gerne mit Menschen. Ich berate gerne. Und es ist schön, wenn ich dazu beitragen kann, Schmerzen zu lindern.»
Weltoffen.
Durch seine Arbeit kann Srečo Dolanc Gehörlose aufklären und Hörende sensibilisieren. Ebenso freut er sich über die Vielseitigkeit seiner Aufgaben in der Apotheke. Gemeinsam mit einer Kollegin produziert er auch Info-Videos für Menschen ohne Gehör, über Kräuter ebenso wie über Corona. Mit einigem technischen Aufwand und noch mehr Inspiration: «Manchmal müssen wir dafür neue Gebärden entwickeln – in Kooperation mit Sprachwissenschaftler_innen und Dolmetscher_innen der TU Wien.»
Am Ende verabschiedet sich Srečo Dolanc erneut mit einem freundlichen Wink. Und wir hören die längst vertraute Dolmetscherin «Auf Wiedersehen» sagen. Und: «Gute Besserung.» Und: «Bleiben Sie gesund.» Und: «Melden Sie sich bitte, wenn Sie noch etwas brauchen.»