An einem bestimmten Punkt der Grausamkeit …Artistin

Zum Kinostart des Dokumentarfims über die Palmers-Entführung

Palmersentf__hrung.jpgVor 30 Jahren wurde Walter Michael Palmers, Seniorchef des traditionellen Wäschekonzerns, vor seiner Wiener Villa entführt. In den Kommentaren zur Aktion häufen sich Begriffe wie Treppenwitz der Geschichte oder österreichische Operette. Ein Aspekt des Treppenwitzes blieb unerwähnt: Ausgerechnet die (in der Selbstdefinition) radikalsten Antikapitalisten der Stadt haben das Bild des zynischen, aalglatten, menschenfeindlichen Großkapitalisten freilich unfreiwillig als populistisches Klischee kenntlich gemacht. Auch der nun in den österreichischen Kinos startende Film Keine Insel die Palmers-Entführung 1977 erinnert an die fast liebenswürdige Grandezza des Firmenbosses.

­Der hundert Stunden im Auftrag der RAF inhaftierte alte Herr, damals 74-jährig, entschuldigte sich bei seiner Frau für die hundertstündige Verspätung, kommentierte diskret den Geldabgang von 31 Millionen Schilling mit der Entwarnung Die Firma hat’s verkraftet und fand zum Schrecken der Kronen-Zeitungs-Schreiberlinge lobende Worte zur Fairness seiner Entführer: Ich wurde besonders anständig und nett behandelt. Wer will, kann sogar eine Spur von Subversivität im Verhalten der Familie Palmers herauslesen: Sie agierte völlig an der Polizei vorbei, was den damaligen Polizeipräsidenten zum öffentlichen Statement bewog: Ich hätte mir eine bessere Zusammenarbeit der Familie mit uns vorstellen können. Das war noch zurückhaltend formuliert, denn jede/r wusste, wie sauer die Polizeispitze war.

Reinhard Pitsch, der wegen seiner Mitarbeit an der Entführungsaktion fünf Jahre Schmalz ausgefasst hatte, erinnerte sich jüngst in einem taz-Interview an die Beratung unter den Genossen der linksradikalen Wiener Studentengruppe Arbeitsgemeinschaft Politische Gefangene (APG), die von der Polizei längst als Vorfeldorganisation der RAF beobachtet wurde, über die Wahl des Erpressungsopfers:

Wir sind im 18. Bezirk bei einem Stadtheurigen gesessen dem besten der Stadt übrigens, wo noch die ganz echten Wienerlieder gesungen werden und haben uns überlegt, wer in Frage kommt für so eine Geldbeschaffungsaktion. In Wien gibt’s ja nicht so viele reiche Leute. Da fiel schnell der Name Palmers. Auch der Meinl, der Privatbankier, kam in Betracht. Wir haben die Lebens-, Wohn- und Fahrumstände ausgekundschaftet. Da lief alles schnell auf Palmers zu, den Textilindustriellen. Warum? Er fuhr täglich allein mit seinem Auto von der Fabrik nach Hause in die Villa in Währing.

Österreich ist keine Insel, hielt der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky der aufgeregten Öffentlichkeit entgegen. Das regte den Filmemacher Alexander Binder zum Titel Keine Insel an. Kreisky war insofern Realist, als er die Vorstellung von einer hermetischen Abgrenzung Österreichs gegen die Nachbarländer Deutschland und Italien, wo die so genannte Stadtguerilla spektakuläre und auch brutale Aktionen durchführte (drei Wochen vor der Palmers-Entführung war der deutsche Arbeitgeberpräsident mit NS-Vergangenheit, Hanns-Martin Schleyer, ermordet worden), für illusorisch hielt.

Mehr Instrument der RAF als Partner der RAF


Binders Dokumentation könnte man aber auch gegen den Titel lesen. Aus der Perspektive der theoretischen Köpfe der Gruppierungen RAF und Bewegung 2. Juni, aus der Sicht der Avantgarde der Stadtguerilla und auch als BetrachterIn des Films kann einem/r Österreich tatsächlich als Insel vorkommen. Denn hier agiert keine den deutschen und italienischen Terrororganisationen auch nur annähernd ähnliche Bewegung. Die APG-Revoluzzer und Palmers-Entführer Thomas Gratt, Othmar Keplinger und Reinhard Pitsch erscheinen mehr als Instrumente denn als Partner der deutschen Guerilla-Kapazunder; als Instrumente waren sie gar nicht so nutzlos, denn die deutsche TerroristInnenszene lebte die ganzen 80er Jahre von den umgerechnet 4,4 Millionen Mark aus dem Hause Palmers, wie Ex-Untergrundkämpferin Gabriele Rollnik im Filminterview erzählt.

Und Pitsch erzählt, dass damals, bei der Besprechung im Heurigen, die Frage nach den möglichen Konsequenzen eines Nichteingehens der Palmers-Familie auf die Lösegeldforderungen nicht zur Debatte stand: Man ist sowieso davon ausgegangen, dass die Familie zahlt. Man wusste, die Familie ist intakt. Ein imaginärer Österreich-Faktor, der Palmers von vornherein aus Schleyers Schicksal ausschloss, schwebt im Raum. Hätten die schlampigen österreichischen Revolutionäre (Gratt verriet sich, weil er mit seinem Vorarlberger Idiom mit der Industriellenfamilie telefonierte und weil das Gespräch dann öffentlich gesendet wurde) den alten Herrn Chef erschossen? Wenn man beschließt, Widerstand zu leisten, kommt man automatisch in eine militärische Logik, verteidigt der Philosoph Reinhard Pitsch im Prinzip die Anwendung von Gewalt, die aus seiner Sicht Gegengewalt sei.

Zumindest Angriffe auf Eliten der BRD seien legitim gewesen, weil die BRD wegen der Militärpräsenz der USA und der NATO-Mitgliedschaft damals Krieg führende Partei des Vietnamkriegs war, sagt Pitsch. Durch solche Argumente moralisch entlastet, pflegten bedeutende Teile der deutschen Studis und der deutschen Linken tatsächlich klammheimliche Sympathie mit den Aktionen der RAF; eine Bestrafung Palmers im Namen der Revolution hätte die moralische Basis in Österreich auf null reduziert und selbst Ansätze von klammheimlicher Sympathie für die Entführer zerbröselt.

Gratts literarischer Tod


Die Entwertung der drei österreichischen RAF-Fans zu Instrumenten der Geldbeschaffungssaktion erscheint so noch klarer: Die Wahl Palmers bedeutete relativ sicheres Geld für die deutschen Auftraggeber, während die österreichischen Hilfskräfte eben wegen der Persönlichkeit Palmers im Fall eines katastrophalen Ausgangs des Projekts nicht einmal in einer Nische des politischen Spektrums den Bonus des Märtyrers bzw. des moralischen Siegers übertragen bekommen hätten.

Der Kinofilm zur Palmers-Entführung würdigt nicht nur die noble Gelassenheit des im Jahr 1983 verstorbenen Unternehmers, sondern entzerrt auch das Bild des Kopfes der Entführungsaktion, Thomas Gratt, der 13 Jahre in Haft verbringen musste. Nach der Entlassung arbeitete er in einem Umweltberatungsbüro, dann wurde er Luftmensch. Alexander Binder konnte ihn für seinen Film noch interviewen. Die Fertigstellung der Doku erlebte er nicht mehr. Es hieß, er schreibe ein Buch. Niemand wusste, wovon er lebte. Er bezog keine Arbeitslose, keine Sozialhilfe. Er wollte nichts von diesem Staat. Kurz vor seinem Tod fragte ihn sein Vater, ob er Geld brauche. Danke, er komme zurecht, sagte Thomas Gratt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon keine Miete mehr bezahlt. Am 29. März (2006), einen Tag vor seiner Delogierung, nahm Thomas Gratt ein Küchenmesser und rammte es sich mit voller Wucht in das Herz … Der Tod trat erst nach vielen Minuten ein, schrieb Edith Meinhart in einem einfühlsamen Profil-Bericht (13. 11. 2006). Ein literarischer Tod, sagt Reinhard Pitsch. Was ihn wütend mache: die deutsche linksradikale Szene habe den Abgang Gratts nicht einmal ignoriert.

Das System hat keine Grandezza


Genauso wie die Literaturszene Gratt als Poeten ignoriere, beharrt Pitsch im Augustin-Gespräch in seinem Ärger. Noch in Haft, die bis 1990 dauerte, hatte Gratt unter dem Pseudonym Buster C. Daniels den Lyrikband Übersetzung (Beiheft Nr. 26 der Zeitschrift sturzflüge, Bozen 1989) veröffentlicht. Nach Haftende war er Gast im Maison des Écrivains Étrangers et des Traducteurs, in dessen Verlag im deutschen Original sowie in französischer Übersetzung der Roman La mise en corps (Edition MEET, Saint-Nazaire 1995) erschien.

Als ob der hiesige Literaturbetrieb der Firma Palmers auf ewige Zeiten Kondolenz erweisen müsste, wird das literarische Werk Gratts beharrlich totgeschwiegen, setzt Pitsch fort. Wenn du dich in einer Bibliothek oder in einem Archiv nach ihm erkundigst, wirst du weder auf das Pseudonym noch auf den bürgerlichen Namen stoßen. Dagegen sind die Exemplare der Kronen-Zeitung jederzeit verfügbar, in denen deren Kolumnist Richard Nimmerrichter/Staberl anlässlich des Strafprozesses die Todesstrafe für Thomas Gratt forderte.

Und die Lehre dieser Novembertage des Jahres 1977, die Lehre des Films 30 Jahre danach? Dass Patriarchen, auch wenn sie zu den Superreichen zählen, über eine Persönlichkeit mit großen Menschlichkeitsanteilen verfügen können, widerlegt nicht die Tatsache, dass die Eigentumsverhältnisse immer wieder Widerstand hervorrufen, einmal mit gewaltlosen, einmal mit gewaltsamen Mitteln. Der Augustin ist bekanntlich nicht dazu geschaffen, Ezzes zu geben, in welcher Situation welche Mittel adäquat sind. Aber den Satz An einem bestimmten Punkt der Grausamkeit angekommen, ist es schon gleich, wer sie begangen hat: Sie soll nur aufhören empfehlen wir einzurahmen. Es ist laut Alexander Kluge der zentrale Sitz im Film Deutschland im Herbst. Die Handlung spielt in der Woche nach dem 18. Oktober 1977, der Todesnacht von Stammheim, wenige Tage vor der Tat von Gratt, Keplinger und Pitsch, die nicht zu begreifen ist ohne die Elektrizität der aufwühlenden Ereignisse, die der deutsche Herbst ins Innere der drei geleitet hat. Keine Insel anschauen, und dann gleich Deutschland im Herbst, erweitert den Horizont.

Info:

Premiere am Do., 27. 9. 2007, 19 Uhr

Im Anschluss eine Diskussion zu:

Terror. Damals. Heute.

30 Jahre Deutscher Herbst, 30 Jahre Palmersentführung

Es diskutieren: A. Binder (Regisseur), R. Pitsch (Mitbegründer Arbeitsgruppe Politische Gefangene, Palmers-Entführer), A. Proll (eh. Mitglied RAF), L. Gallmetzer (ORF); Moderation: R. Misik (Autor; Falter, Profil)

Im AUDIMAX der TU Wien

Getreidemarkt 9

1060 Wien

Ab 28. September in den Kinos: Votiv, Apollo und UCI

www.keineinsel.at