Erstmals fließt TheaterblutArtistin

Europäische Theaternacht 15. November: Augustiner_innen dabei

Es gibt verschiedene Methoden, sich dem Phänomen zu stellen, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung den Besuch eines Theaters als relevant für Entspannung und/oder Aufklärung und/oder Selbstermutigung empfindet. Eine davon ist die Europäische Theaternacht am 15. November.

Foto: Mehmet Emir

Das Volk, gewohnt ein Nichts zu sein / zahlt den Betrieb, doch geht’s nicht rein / im Halbschlaf nur fragt’s ab und zua: / was isn des / die Hochkultur? Als Sinowatz unter Kanzler Kreisky österreichischer Kulturminister war, wurde diese Strophe neben drei Dutzend anderen, die zusammen unter dem Titel «Trara trara die Hochkultur» veröffentlicht wurden, ihrem Autor zum Verhängnis. Fritz Hermann, Kritiker der sozialdemokratischen Theaterförderung, die für die großen Theater alles, für die kleinen Theater nichts übrig hatte, musste seinen Dienst als Berater des Kulturministers quittieren. Genau genommen war Fritz Hermanns Befund ungenau. Denn das «Geht’s nicht rein» gilt – mehr als für die etablierten Bühnen – für die Projekte der «freien« Theaterszene. Und mehr noch als die Hochkultur war dem «Volk« die Subkultur ein Rätsel.

In ihrer Träumerei über überfüllte Theatersäle will jedoch Rebecca Eder vom dreiköpfigen Team der «Europäischen Theaternacht» (österreichischer Zweig) die polarisierende Wirkung von Kampfbegriffen wie «Hochkultur» und «Subkultur» vermeiden; vielmehr sei jedem Theater eine Bevölkerung zu gönnen, für deren Mitglieder Theaterbesuche zum Alltag gehören wie heute Therapiestunden oder Friseurbesuche. Zwar meinen die IMAS-Meinungsforscher auf diesem Gebiet eine Verbesserung beweisen zu können (sie verglichen die Daten einer neuen Umfrage mit einer Umfrage von 1973. Resultat: Theaterbesuche in Alltagskleidung waren für 60 Prozent der Österreicher ein No-Go, heute mokieren sich darüber nur noch 33 Prozent), Fakt aber ist, dass nicht einmal ein Fünftel der erwachsenen Bevölkerung regelmäßig ins Theater geht.

Lang ist es her: Das Wort «Arbeiterklasse» durfte mensch damals noch in den Mund nehmen, und selbst sozialdemokratische Spitzenpolitiker_innen fanden es bedauerlich, dass diese Arbeiter_innenklasse eine theaterferne Schicht ist. Und weil das so empfunden wurde, fanden sie das 1979 gegründete Gemeindehof-Projekt «Fo-Theater in den Arbeiterbezirken» unterstützenswert. Es lehnte sich an das Konzept des großen italienischen Theaterrevolutionärs Dario Fo an, Theater außerhalb des Theaters zu spielen und dadurch Leute zu erreichen, die die Schwelle zur Bühnenanstalt nicht übertreten konnten oder wollten. Die Gründungsmitglieder Didi Macher, Otto Tausig und Ulf Birbauer wollten damit ein Publikum ansprechen, das es als Theaterpublikum noch gar nicht gab. Die Innenhöfe der Gemeindebauten schienen ihnen dafür die geeignetsten Standorte zu sein. Das Publikum – ein neues! – kam in Scharen. Aber in dem Maß, in dem die Politik konservativer wurde und von der Existenz einer «Arbeiter_innenklasse» nichts mehr wissen wollte, wurde die Gemeindehofheater-Methode als politisch überflüssig behandelt. 1995 starb das Experiment.

Wer null hat, zahlt nix

Die «Europäische Theaternacht» zäumt das Pferd vom anderen Ende auf. Die primäre Idee ist nicht, das Theater dorthin zu bringen, wo die Leute sind, sondern die Leute dorthin zu bringen, wo Schauspiel stattfindet. Ihre Schwellenangst soll mit dem Argument des Preises therapiert werden: Wer nichts hat, zahlt in dieser Nacht nichts, und wer hat, zahlt, was er oder sie zahlen will. Das Konzept ist nicht so politisch wie die alte linke Idee, dass Schauspieler_innen Arbeiter_innen besuchen, aber es ist ein soziales Projekt. Vom Kulturverein Dubrava in Kroatien 2007 ins Leben gerufen, hat sich die Initiative mittlerweile zum fixen Kulturtermin, immer am dritten Samstag im November, etabliert und ist vor allem für kleine und mittlere Theaterbetriebe und Kulturvereine eine besondere Chance, neues Publikum zu gewinnen. Es muss ja nicht unbedingt die Arbeiter_innenklasse repräsentieren.

In Wien beteiligen sich über 20 Theater der freien Szene. Während viele Gruppen aus ihrem Repertoire spielen, laden andere zu Workshops ein, bieten Führungen hinter die Kulissen an oder laden – wie das 11%K.Theater, die bunte Truppe des Augustin – zu einer öffentlichen Probe ein. Das Stück, das geprobt wird (15. November, 20 Uhr, Augustin-Haus 1050, Reinprechtsdorfer Straße 31), ist für die leidenschaftlichen Dilettant_innen wie ein Sprung in eine unbekannte Flüssigkeit. Erstmals verdrängt der auswendig gelernte Text – es ist kein geringerer als «Sauschlachten» von Peter Turrini – das bisher gewohnte Dialogimprovisieren. Und erstmals wird – konventioneller Beitrag des Augustin zum Heranlocken neuer Schichten? -Theaterblut verwendet.


Das ganze Programm: www.europaeische-theaternacht.at